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Universität Wien / Institut für Österreichische Geschichtsforschung [Editor]
Kunstgeschichtliche Anzeigen — 1913

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Nr. 1/2
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Tietze, Hans: [Rezension von: Kurt Gerstenberg, Deutsche Sondergotik. Eine Untersuchung über das Wesen der deutschen Baukunst im späten Mittelalter]
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https://doi.org/10.11588/diglit.51383#0064
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52

Kurt Gerstenberg, Deutsche Sondergotik.
Eine Untersuchung über das Wesen der deut-
schen Baukunst im späten Mittelalter. Delphin-
Verlag, München 1913,
Dies Buch behandelt die sogenannte Spätgotik in dem Sinne,
den Dehio schon 1900 in seinem Aufsatz ,,Ueber die Grenze der
Renaissance gegen die Gotik“ (jetzt auch in Kunsthistor, Aufsätze,
München-Berlin 1914, S. 59) angedeutet hatte: in der nordischen
Spätgotik sei ein neues Drittes — von der klassischen Gotik wie von
der italienischen Renaissance Verschiedenes — wirksam, das in
gerader Linie zum Barock führe. Auch die enthusiastische Konse-
quenz, mit der dieser Gedanke ausgebaut wird, die Einseitigkeit,
mit der der analysierte Stilabschnitt nicht nur als ein Drittes, son-
dern als die spezifisch deutsche Form der Gotik und als der
deutsche Stil schlechtweg gepriesen wird, ist nicht ganz das per-
sönliche Eigentum des Verfassers; sondern diese neue Auffassung
der deutschen Spätgotik wird, wie Allesch einmal von dem ganz
analogen neuen Grünewaldkult einbekannt hat, ,,von der Stimmung
unserer Zeit emporgetragen“. Tatsächlich sind es sehr allgemeine,
weit über das eigentliche Wissenschaftsgebiet hinausreichende Zeit-
strömungen, in denen diese neue Interpretation wie die ent-
sprechende Umdeutung des deutschen Barock als einer besonders
charakteristischen nationalen Ausdrucksweise wurzeln; und diese
bewußt-unbewußten nationalistisch-antihumanistischen Elemente
werden auch dem Buche G'.s eine Beachtung verschaffen, die seiner
prinzipiellen und theoretischen Grundlegung nicht zukommt, die es
aber durch seine analytischen Kapitel wenigstens einigermaßen ver-
dient. Denn die Darlegung der Stilelemente der Spätgotik und die
Interpretation der einzelnen Bauten und Baugruppen zeichnen sich
durch eine Klarheit und Kraft aus, die G's Fähigkeit, der schweren
und zarten synthetischen Hauptaufgabe seines Buchs Herr zu
werden, sehr wesentlich übertrifft.
Diese Aufgabe enthält beträchtliche innere Schwierigkeiten,
deren sich G. nicht ganz bewußt geworden ist, als er es unternahm,
die deutsche Spätgotik aus einer Frage der Historik in ein Problem
der Rasse umzuwandeln. Denn sonst hätte er diesen Begriff der
Rasse nicht mit einer Leichtfertigkeit behandeln können, die inner-
halb der historischen Disziplinen wohl nur in der Kunstgeschichte
denkbar ist; nach all der mühevollen und behutsamen Arbeit, die
 
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