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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Einiges vom Stilisieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0024
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i6

EINIGES VOM STILISIEREN

etwa Bedenken erregte, bald wieder durch doppelt
glänzende Thaten in Vergessenheit gebracht.

Aber nicht nur ein Schwanken aus vorüber-
gehender Ermüdung, es Iässt sich schon hier und da
ein Abirren vom Wege bemerken, das in der Un-
kenntnis der rechten Marschrichtung seinen Grund hat.

Da glaubt man z. B. die Modernität gar zu billigen
Preises erkaufen zu können. Wie unendlich reich ist
die Flora, Garten und Wiese bieten ihre Schätze
freigebig dar, und in dem reichen Strauss sind noch
so viele Blüten, an denen vergangene Kunstepochen

gerade dieses Buch, weil man an vielen Stellen wahr-
scheinlich geneigt ist, es von vornherein als hervor-
ragendes Vorbild anzusehen, und es also leicht darin
bestärken könnte, die falschen Grundsätze weiter zu
befolgen, die wir auch bei uns alle Tage bethätigen
sehen.

Für einen fast noch schlimmeren, häufig bemerk-
baren Fehler fand ich in einer ebenfalls französischen
Zeitschrift ein sehr bezeichnendes Beispiel. „Art et
decoration« brachte vor einigen Monaten die Abbil-
dung eines Treppengeländers in Bronze, das in dem

Silberner Tafelaufsatz der Stadt Brüssel von Charles van der Statten.

achtlos vorüber gingen. So viele neue Pflanzen, so
viel zukünftige Ornamente! Man braucht nur die
Ranken beliebiger, historischer Stile zu nehmen und als
Abschluss die naturtreu geformte Blüte hineinzu-
fügen, die man nach neuestem Rezept mit allen Zu-
fallsbewegungen nachbildet, und - der neue Stil ist
da! O weh, der neue Lappen auf dem alten Kleid!
Solcher Flickarbeit begegnete ich auf mancher Seite
eines neuen französischen Werkes, das mit vielem
Anspruch kürzlich hervorgetreten ist.1) Ich nenne

1) «La plante et ses applications ornementales", heraus-
gegeben von Eugene Grasset.

neuen Naturkunde-Museum im Jardin des plantes zu
Paris ausgeführt wurde. Die Geländerstützen auf
jeder Treppenstufe hatten die Form naturalistisch ge-
bildeter Iris erhalten, aber den Bauformen der Treppe
zu Liebe, die einen Anklang an Rokoko zeigten, hatte
der so charakteristische starre Blütenstiel sich oben
zu einer völlig ausgesprochenen Kurve bequemen
müssen. Für diese Erfindung hatte der Text der
Zeitschrift nur höchstes Lob. Ja, ist es denn erlaubt,
oder ich will lieber sagen, ist es geschmackvoll, in
allen Details naturtreu zu sein, Zufälligkeiten nach-
zuformen und doch dem Gesamtcharakter des Vor-
bildes schreiende Gewalt anzuthun? Vielleicht eignete
 
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