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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Einiges vom Stilisieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0025
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EINIGES VOM STILISIEREN

17

sich der geradeaufgerichtete Stengel, der im Verein mit
der gleich starren Blattform der Blume zu dem so
bezeichnenden Namen „Schwertlilie" verholfen hat, nicht
für den gegebenen Fall, wenn man der Natur nicht
„bessernd" nachhalf. Dann hätte der Künstler (die
Idee stammt von Dutert, die Ausführung von Bonin,
wie das Blatt berichtet) oder die Künstler hätten sich
also nach einem anderen Vorbilde umsehen sollen,
es wäre ihnen nicht schwer geworden, ein dem Cha-
rakter ihrer Aufgabe angemessenes zu finden.

Es ist wahr, dass frühere Stile es in diesem Punkt
nicht allzugenau genommen haben. Abgesehen von
der Renaissance, die in freier Herrscherlaune jedes
Naturmotiv verwandelte, wie es ihr gefiel und mit
Widersprechendem zu neuer Einheit zusammenfügte,
die sich also aus Prinzip ausserhalb der Naturtreue
stellte, Hessen sich aus Romanismus und Gotik Bei-
spiele genug anführen, dass sie sich ihres Herrenrechts
über die Wirklichkeitsform nach Belieben bedienten.
Wir machen dem einstigen Zeichner einer alten
Miniatur keinen Vorwurf daraus, wenn er die Blätter
seines Gänseblümchens aus dem Blütenstiel heraus-
wachsen lässt, obgleich es uns sofort als unbotanisch
auffällt, oder wenn er d\et einzelnen Voluten seiner
Ranke abwechselnd mit Glockenblumen, Erdbeeren
und Kornblumen abschliessen lässt. Aber wie sieht
es hier mit der Naturtreue überhaupt aus? Die Form
ist stets nur in so allgemeinen Zügen nachgeahmt, dass
man das Vorbild ebensogut erkennen wie vergessen
kann, und darum verlangen wir nicht nach Wahrheit.

Wenn aber ein Stil sich aus dem Prinzip des
Realismus heraus entwickeln will, da kann er in allem
anderen eher von der Natur abweichen als in ihrem
Grundcharakter. Der Künstler mag, wo es ihm be-
liebt, in einem Teile der Form genauer nachgehen
wie in einem anderen, er mag beliebig verschiedene
Vorbilder in seinem Ornament verbinden — sofern es
nur organisch geschieht —, aber wo er sich zur
strikten Nachbildung eines Naturwesens bekennt, da
darf ihm eine Ungesetzlichkeit nicht verziehen werden,
welche Majestät Natur höchstselbst sich nie erlaubt.

Im Gegenteil haben wir eine erspriessliche Ent-
wicklung unseres Ornaments am ersten von einem
engen Anschluss an die Gesetzmässigkert des orga-
nischen Lebens zu erwarten. Dieser ist es, welcher
in Obrist's Arbeiten das Wohlgefallen gewinnt und
welcher auch den Versuchen der Stickerin und Er-
finderin von Pflanzenmustern Rose Du Bois-Reymond
ihre Bedeutung giebt.

Wie übrigens die sogenannten „Gefahren des
Naturalismus" für einen feinen Künstlertakt gar nicht
vorhanden zu sein scheinen, zeigen Arbeiten wie die
Holzeinlagen von Emile Galle. Kein Japaner kann
kühner sein im Benutzen von Wirklichkeitsbildern
für die Dekoration. Der Realismus findet seine
Grenzen nur in der Beschränkung auf die Naturfarben
des Materials und in den Gesetzen der Technik, welche
keine plastische Wirkung von Licht und Schatten zu-
lässt. Aus beiden Bedingungen zusammen ist der
gesundeste Flachmusterstil hervorgegangen.

Kunstgewerbeblatt. N. F. X. H. 1.

Fayence-Teller von Frau Schmidt-Pecht, Konstanz.
 
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