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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Minkus, Fritz: Die Winterausstellung im k. k. Museum für Kunst und Industrie in Wien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0103
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DIE WINTERAUSSTELLUNG IM K. K- MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN 95

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Schrank für ein Herrenzimmer, nach dem Entwurf des Architekten R. Hammel, ausgeführt von Auo. Unqethüm, Wien.

Mittelstand den Begriff des Familienhauses, des Cot-
tage, so gut wie gar nicht kennt: eine so recht innige
Durchdringung von Schön und Nützlich, von Kunst
und Gewerbe lernt sich nur in den eigenen vier
Mauern, nicht in Mietswohnungen, nur an niet- und
nagelfestem Hausrat und nicht an fahrender Habe, die
alle paar Jahre im Möbelwagen zusammengepfercht
werden muss! Aber einen grossen Teil der Schuld

trägt auch der alte Ta-
peziererstil mit seinem
„dekorativen Glänze",
all dem öden, anspruchs-
vollen Glänze, den er
über das Luxusgerät er-
goss, und mit seiner
Unbekümmertheit um
jene „hässlichen Not-
durftsdinge", denen sich
mit dem besten Willen
nicht der Anschein von
Luxusgerät geben liess.
Das war ein Stand-
punkt, der den Ge-
schmack der breiten
Schichten unseres Pub-
likums um hundertjahre
zurückrückte: vor hun-
dert Jahren hatte sich in
Frankreich, das damals,
zur Zeit der Revolution,
in geschmacklicher Hin-
sicht so viele Absurdi-
täten zeitigte, ein Stil
ausgebildet, der von
dem gleichen Stand-
punkt ausging, der so-
genannte „Messidor-
stil". Damals meinten
die hochgelehrten Äst-
hetiker, die Öfen seien
„d'une utilite grassiere
et d'unusagepeu noble"
und versteckten sie in
den Piedestalen antiki-
sierender Statuen, wenn
sie es überhaupt ein-
sahen, dass ein Pariser
frieren dürfe, wo doch
die alten Römer auch
nicht froren; damals zer-
brachen sich die Deko-
rateure den Kopf, welch
abenteuerliche Gestalt
man einem Bette geben
könne, und wer sich
nicht entschliessen konnte, in einem schwangezoge-
nen, mastüberragten Nachen, einer Muschel, oder
zum mindesten in einem klassischen Lektus qual-
volle Nächte zu verbringen, der musste sich drein
schicken, dass ihm der Tapezierer sein Bett in den
finstersten Winkel des Schlafzimmers verbannte, wo
dichte Draperien das hässliche Gerät den empfind-
lichen Augen geschmackvoller Besucher entrückten!
 
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