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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Minkus, Fritz: Die Winterausstellung im k. k. Museum für Kunst und Industrie in Wien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0104
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g6 DIE WINTERAUSSTELLUNG IM K- K. MUSEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE IN WIEN

Ein Nachttisch — quelle horreur! — der musste sich,
wollte er überhaupt geduldet sein, in einen mystischen
Dreifuss verwandeln, besser noch in eine würdevolle
Herme mit der Büste einer griechischen Gottheit!
Ein Wäschkasten — wie gemein! Hatte Venus einen
Wäschkasten? Irgend eine verborgene Nische in irgend
einer versteckten Wand war gut genug, als unsicht-
barer Wandschrein die „unvornehmen Nutzobjekte"
aufzunehmen!

Ganz ebenso trieb es unser Tapeziererstil. Wer
seine müden fin-de-siecle-Glieder auf ein bequemes
Lager strecken und es einmal nicht über sich ergehen
lassen wollte, aus lauter „Stilgefühl" sie an Renaissance-
kartuschen und Rokokoschnörkeln zu stossen, wer sich
an seinem Schreibtisch keine blauen Flecke, in seinen
Fauteuils keine Verstauchungen holen wollte, wer keine
tausendfälteligen Draperien, keine goldstrotzenden Kar-
niese und Bilderrahmen, wer Luft und Licht und___

Ruhe in seinem Zimmer haben wollte, dem war eben
mit der „Kunst" nicht zu helfen, der musste sich ans
„Gewerbe" halten und „hässliche Nutzobjekte" in seine
Wohnung stellen!

Solche Frevel gegen die Souveränität des Not-
wendigen rächen sich rasch: wie die Excentricitäten
des Messidorstiles bald ihr Ende fanden in der ge-
diegenen Zweckmässigkeit des Empirestiles, so erhob
sich gegen die Extravaganzen unseres „Dekorations-
stils" allerorten eine kräftige Reaktion zu Gunsten des
Bequemen, Nützlichen, Sinngemässen. In Deutschland,
wo das Kunstgewerbe ungemein populär ist, ging
diese Reaktion von den weiteren Kreisen des Mittel-
standes aus; daher teilte sie sich rasch den Produ-
zenten mit und führte schnell zur Schaffung einer
neuen Stilweise. In Österreich, wo der kunstgewerb-

liche Geschmack des Mittelstandes arg daniederliegt,
ging sie von den oberen Zehntausend aus; die Pro-
duzenten verstanden ihre Wünsche nicht, boten
immer mehr Glanz, immer mehr Draperien, immer
mehr Gold, — immer weniger Luft, Licht, Ruhe
und Bequemlichkeit. Da wandten sich die oberen
Zehntausend nach England, dem klassischen Lande
praktischer Gediegenheit. Es war eine Modeströmung,
aber eine gesunde Modeströmung, die instinktiv das
Richtige traf: aber sie drohte, das heimische Kunst-
handwerk zu ruinieren. Da ward im neuen Leiter des
österreichischen Museums ein Mann an seine Spitze
gestellt, der seltene Umsicht, seltene Thatkraft mit
seltenem Geschmack verband, — ein moderner Mann,
berufen, ein alterndes Institut modern zu gestalten, der
veraltenden Kunstindustrie des Landes modernen
Schwung, moderne Bequemlichkeit, moderne Klarheit
der Tendenzen zu verleihen. Das war eine ungeheure
Aufgabe. Sie ward in Jahresfrist gelöst. Das öster-
reichische Kunstgewerbe, an der Hand englischer Ge-
diegenheit regeneriert, hat sich Kundenkreise zurück-
erobert, die es seit Jahren an das Land Chippendale's
und Sheraton's hatte abtreten müssen, hat sich moder-
nes Leben geholt, ohne dass die schwarzseherischen
Prophezeiungen der Pessimisten und der Böswilligen
in Erfüllung gegangen wären, die aus dem Anschlüsse
an England das Ende heimischer Eigenart prognos-
tizierten.

Die ehrlichen Pessimisten sind heute verstummt,
die Böswilligen nicht: sie erheben ihre Stimmen lauter
als zuvor. Aber sie sind leicht zu widerlegen: facta
loquuntur. Die Winterausstellung ist eine Abwehr-
waffe von niederschmetternder Wucht.
(Schluss folgt.)

Fauteuil und Sofa (Chippendale), Mahagoni; ausgeführt von Josef Plail, Kunstmöbelfabrik, Königsberg b. Eger.
 
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