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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Der Zufall als Mitarbeiter
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0216
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DER ZUFALL ALS MITARBEITER

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scheinen bei gewissen Versuchen, die kaum noch mehr
als dem Namen nach zu der angewandten Kunst ge-
hören, und die doch wieder zu ihr gerechnet sein
wollen. Ich meine einige keramische Arbeiten, die
besonders von französischen Künstlern z. B. Dalpayrat
gepflegt werden. Wo die Form sich überhaupt nur
im Zustand embryonaler Entwicklung befindet, wenn
man zweifelhaft bleibt, ob es sich um menschliche
Gebilde als plastischen Schmuck handelt, oder ob es
nur einem phantastischen Spiele mit dem Material gilt,
braucht man sich auch nicht überreden zu lassen, dass
dies Ding eine Vase sei. Hier handelt es sich wohl
kaum noch um planmässiges Bilden, sondern um zu-
fällig entstehende Reize des spielenden Gleichgewichts
der Form, welche der Künstler zu zerstören fürchtete,
wenn er seine Arbeit zu Ende führte. Dass solche
»objets d'art" manchmal etwas verführerisch Über-
redendes haben, macht ihr Vorbild nur um so ge-
fährlicher.

Lange nicht so extra-
vagant, aber auch nicht so
reizvoll sind die Formen
der neuen Glasarbeiten aus
der Fabrik zu Vallerysthal
im Elsass. Diese schief-
gebogenen, unregelmässig
herabhängenden Ränder,
welche wir da häufig zu
sehen bekommen, sind we-
der durch die durchaus
regelmässig gebildeten Ge-
fässkörper, noch durch
plastischen oder zeichne-
rischen Schmuck erklärt,
welche die Fabrik vielmehr
vollständig ablehnt. Diese
Ziergläser sind grundsätz-
lich nur aus der Technik
des Glasblasens hervorge-
bracht, und so liegt kein
Grund zu solchem koketten
Gehenlassen in der Form-
gebung vor.

Auch sonst begegnet
man wohl ähnlicher, un-
motivierter Willkür. Die |
zeugt dann gewöhnlich
mehr von Verlegenheit um |
eine neue Idee als von der
Laune übermütigen Reich-
tums. Die prahlende Ar-
mut reizt zur Kassenunter-
suchung, die unbequeme



Strassentype, Zeitungsfrau. Zeichnung von H. Haase, Hamburg.

Defekte ans Licht bringen kann. Besser am Platz
wäre da bescheidenes Eingestehen des Unvermögens
zu origineller Erfindung, für welche Vorzüge des
Kolorismus und technische Vollkommenheiten ent-
schuldigend eintreten möchten.

Wieviel unberechtigter noch, wenn gar statt des
Zufalls das Misslingen kopiert wird! Ein bildsames-
Material erleidet wohl oft im Prozess der Vollendung
Schaden. Die biegsame Gefässwandung wird im Ofen
eingedrückt, und nach vollendetem Brande tritt statt
der beabsichtigten eine traurige Missbildung zu Tage.
Aber den Schein solchen Missgeschicks künstlich
hervorrufen? Die vernünftige, wenn auch vielleicht
landläufige Gestalt durch einen absichtlichen Druck
unkenntlich machen und nun solch ein Unding gar
als Schmuckstück anpreisen? Wer kann so etwas
verantworten! Solche Verschrobenheit aber gar als
1,Bauerntöpferei" bezeichnen, wie der Belgier Coppens
thut, mit dies:m Namen, der das Gesunde und Natur-
wüchsige in sich begreift,,
das geht erst recht nicht
an. Zu solchen Experimen-
ten hat sich die Nüchtern-
heit einer Volkskunst nie-
mals verstiegen, und nur
blasierte Koketterie möchte
sie ihr unterschieben.

Es ist die Form, in
der sich ein Künstlerwille
am entschiedensten aus-
drückt. Er macht sie um
so deutlicher zu seinem
Abbilde, je klarer er sich
über seine Zwecke ist. Die
Konsequenz in der Form
ist das, was den Stil macht
Der Takt der ostasia-
tischen Kunstvölkerbewährt
sich auch in diesem Punkt
Darüber, dass wir uns ge-
wöhnt haben, sie als die
Virtuosen der Laune und
Unsymmetrie in der Flä-
chendekoration zu betrach-
ten, vergessen wir leicht,
wie logisch und vornehm
sie ihre Gebilde gestalten,
und dass z. B. ihre Vasen-
formen an Adel und Ein-
fachheit mit denen Alt-
griechenlands wetteifern.

ALP.

Kunstgewerbeblatt. N. F. X. H. 11.

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