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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0219
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KLEINE MITTEILUNGEN



Zeichnung von H. Sandkuhl, Berlin.

Die deutschen Kunstgewerbe-Museen in frunzösischem
Urteil. — Der französische Schriftsteller Marius Dachou,
bekannt durch die seit einer längeren Reihe von Jahren von
ihm unternommenen, gewissermassen halbamtlichen Reisen
in Frankreich und den meisten europäischen Ländern zum
Studium der Kunstgewerbe-Museen und -Schulen und durch
die über diese Reisen erstatteten Berichte, veröffentlicht in
den Pariser Chronique des arts Aufsätze über die Kunst-
gewerbe-Museen im Auslande. Bei dem Ansehen, welches
der Verfasser in Frankreich geniesst, mögen hier seine Aus-
führungen über die deutschen Kunstgewerbe-Museen nebst
den einleitenden Betrachtungen über französische Kunst-
gewerbe- und andere Museen wiedergegeben werden. Sie
bieten ein ganz besonders krasses Beispiel dafür, mit
welcher Leichtfertigkeit sogar vermeintlich sachkundige
Franzosen in angesehenen Zeitschriften Arbeiten über
deutsche Verhältnisse veröffentlichen, welche Arbeiten vom
ersten bis zum letzten Worte eine kaum glaubliche Un-
kenntnis selbst des rein Thatsächlichen bekunden, worüber
jedes Nachschlagebuch Auskunft giebt. — Nach einleitenden
Worten, in denen der Verfasser die Aufgaben bezeichnet,
welche, neben den Kunstgewerbe-Schulen, die Kunstgewerbe-
Museen zu erfüllen haben, fährt derselbe fort: Wir zuerst
in Europa haben den Gedanken an diese Art von Einrich-
tungen gehabt und haben versucht, ihn zu verwirklichen.
Das war im Jahre 1848. Die Vereinigung von Künstlern
und Qewerbtreibenden, welche den ersten Anstoss dazu
gab, beging indes den Fehler, sich an die Regierung zu
wenden. Diese Hess, wie immer in derartigen Fällen, durch
einen redegewandten Minister eine schöne Rede über die
Sache halten, und das war alles. Im Jahre 1869 erklärte
ein Kongress für dekorative Kunst die Notwendigkeit, ebenso
wie in allen Städten auch auf allen Dörfern Museen für

künstlerischen Unterricht zu begründen. Die kaiserliche
Regierung, deren Politik einzig und allein auf die Aufrecht-
erhaltung der Dynastie gerichtet war, liess amtlich diesen
Kongress unbeachtet. Erst im Jahre 1877 wurde der Ge-
danke von 1848 in Paris wieder aufgenommen und diesmal
endlich zur Ausführung gebracht. Es ist bekannt, was das
Museum der Union centrale des arts decoratifs während der
sechzehn Jahre seiner vorläufigen Unterbringung im Indu-
strie-Palaste gewesen ist; zur Zeit ist es in die Keller eines
Pavillons des Louvre eingeschlossen, und man weiss nicht,
wann es von da herauskommen wird. — In der Provinz
war man weiter vorgeschritten als in Paris. In Lyon hatte
die Handelskammer im Jahre 1856 aus eigenem Antriebe
die Errichtung eines Kunstgewerbe-Museums beschlossen,
welches 1864 eingeweiht worden ist. Dasselbe war ursprüng-
lich für die Gesamtheit des Lyoner Kunstgewerbes bestimmt,
doch gewann darin alsbald die Seiden-Industrie das Über-
gewicht, was in nicht langer Zeit dahin führte, den Charak-
ter und die ursprünglichen Ziele des Museums vollständig
zu wandeln; aus dem Kunstgewerbe-Museum wurde das
geschichtliche Museum der Weberei. In Saint-Etienne be-
gründete die Stadtverwaltung im Jahre 188g das Kunst- und
Gewerbe-Museum für die dort heimische Handweberei und
Waffenschmiede-Arbeit. — Darauf beschränkt sich in Frank-
reich der kunstgewerbliche Unterricht im Zusammenhange
mit den Museen. — Eine kurze Zeit lang hatte man ge-
hofft, die Kunst-Museen an den industriellen und künst-
lerischen Mittelpunkten der Provinzen würden dieser Auf-
gabe bis zu einem gewissen Punkte gerecht werden können.
Es lassen sich aber in der Errichtung dieser Museen, in der
Ergänzung ihrer Sammlungen, in den von ihnen verfolgten
Zielen in der Regel nur Unsicherheiten, Widersprüche,
Mangel an Logik und vor allem Unkenntnis feststellen,
welche denn auch, ungeachtet des guten Willens ihrer Leiter,
zwitterhafte, wunderliche, unschlüssige und haltlose Ein-
richtungen aus ihnen machen, ohne den allermindesten
Einfluss auf eine weitere Verbreitung des guten Geschmacks
und auf Fortschritte in Kunst und Gewerbe. Man ist in
diesen Museen anscheinend nicht über die Anschauungen
ausderZeit ihrer ursprünglichen Errichtung hinausgekommen,
wo sie schlecht und recht als Niederlagen für die nach der
Zerstörung oder Räumung von kirchlichen Gebäuden, Klös-
tern und Schlössern völlig vernachlässigten Kunstwerke und
für die bei archäologischen Nachgrabungen oder behördlichen
Arbeiten aufgefundenen Gegenstände dienten. Kein anderer
Zweck, als der des blossen Aufbewahrens, ergiebt sich aus
der Art und Weise, wie dieselben geordnet und benannt
sind; kein Hauch neuen Lebens dringt in diese, gleich den
Gebeinen in den Katakomben ein für allemal unbeweg-
liche Vergangenheit. Nirgends ist man zu der Vorstellung
durchgedrungen, dass innerhalb der socialen und Verwal-
tungs-Einrichtungen einer Stadt ein Museum ein öffentlicher
Dienstzweig von der nämlichen Nützlichkeit wie Wasser-
leitung, Gas und Strassen-Polizei sein könne und dass
ihm demgemäss alle für seine Wirksamkeit erforderlichen
Mittel zu gewähren seien. Man hält ein Museum für eine
reine Luxus-Schöpfung, die innerhalb der Verwaltung etwa
auf der Stufe der musikalischen Gesellschaften, aber weit
unter der Oper und dem Schauspiel steht. — Anders ist
dies im Auslande, vorzugsweise in denjenigen Ländern,
welche in einem so furchtbaren Wettkampfe mit unserem
Kunstgewerbe stehen, dass dasselbe nicht allein in seinem
Gedeihen, sondern selbst in seinem Bestände bedroht ist.
Die Kunstgewerbe-Museen werden dort für eine unbedingt
notwendige öffentliche Einrichtung gehalten. Sie bestehen
 
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