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JEAN CARRIES
feu". Als ihn das Regiment entlassen hatte, kehrte
er nach Paris zurück, mitten in der stürmischsten
Entwicklung unter den schwersten und engsten Ver-
hältnissen. Die meisten seiner ergreifenden und er-
schreckend wahren Köpfe der Desoles, Desherites,
Epaves entstanden. In allen seinen Werken spricht
sich immer seine Persönlichkeit, seine eigene Em-
pfindung aus. Was er lebte und litt, schilderte er. So
auch in diesen Köpfen, die mit
des Künstlers Herzblut, aus
seinem ureigensten Erleben her-
aus geschaffen sind. Fieberhaft
beinahe, in blühendem Reich-
tum der Gedanken und Pläne,
schuf er, Impressionen auf Im-
pressionen gab er Gestaltung,
um vieles sofort wieder zu zer-
stören. Damals entstand das
Mittelstück des Giebels für das
Schloss Meslay-
le-Vidatne, ein
echt französi-
sches Dekora-
tionsstück von
entzückender
Grazie und
Formvollen-
dung. Und wie
poetisch der Ti-
tel: „Die Zeit
enthülltdieStun-
den!«
In jener Zeit
bildete sich sein
Stil heraus in
seiner Pracht,
Ursprünglich-
keit und Tiefe.
Carries gleicht
in manchen
Stücken Michel-
angelo. Wie die-
ser hatte er keine
freudige und
freundliche Ju-
gend, wie dieser gehört er zu den grossen Märtyrern
der Kunst. Carries' Kunst hatte etwas von geheimnis-
voller Zukunftsahnung, sie atmete den starken rätsel-
haften Drang des Neuen, Bahnbrechenden. Voll Trotz
und Energie, voll Schmerz wirft eine solche Natur ihre
Schöpfungen in die Welt, rücksichtslos darin, sich
weiter zu entwickeln. Und dieses Neue, Unverstan-
dene stösst die blöde Menge ab. Solche Künstler
leiden darum durch ihr Schaffen.
Aber sie sind die grossen Einsamen und die
Loyse Labe von J. Carries; Bronze ä cire perdue.
einsamen Grossen. Sie repräsentieren die feinste
Blüte, das Essentielle des Künstlertums, sie erfüllt der
heilige Ekel von allen Banden und Fesseln, von dem
Schulzwang, von dem Typischen und Handwerks-
mässigen, weil sie persönlich sind im innersten Kerne
ihres Wesens. Und diese Abneigung ging bei Carries
zu Zeiten bis zur Abneigung gegen das herkömmliche
Material, die Bronze und den Marmor. Der Unter-
schied zwischen der blitz-
blanken Bronze auf Ausstel-
ungen, der zuckerähnlichen
Gelecktheit des Marmors und
dem baldig darauffolgenden
Schmutz kam ihm lächerlich
vor. Die warmen Töne der
Terrakotta liebte er und den
feinen Schimmer des farbig
getönten Wachses. Ebenso-
\ \ sehr hasste er den äusser-
0k- liehen Verismus,
die leere tech-
nische Bravour-
arbeit, die ihr
Höchstes in der
verblüffenden
Imitation von
Spitzen u. s. w.
sucht und in der
italienischen
Plastik des ig.
Jahrhunderts so
abgeschmackte
Auswüchse ent-
stehen Hess.
Damals war
Carries 25 Jahre
alt. Der Salon
von 1881, in dem
er ausstellte, sah
seinen ersten
grossen Erfolg,
besonders bei
den Künstlern.
J. Breton Hess
sich von ihm
Versuchen ging
Carries' Händen
modellieren, und nach mehreren
diese Büste als Meisterwerk unter
hervor. Unterdessen war er einige Zeit in Waller-
fangen bei Saarlouis, in der Familie Villeroy's ge-
wesen, der als Mitbesitzer der grossen keramischen
Fabrik von Villeroy & Boch allgemein bekannt ist.
Vielleicht war es auch die alte Liebe zum Thon, der
ihn der Einladung seiner alten Gönnerin Madame
Onofris, Villeroy's Schwiegermutter, folgen Hess. Prak-
tisch hat er sich auf dem Gebiete der keramischen Kunst
JEAN CARRIES
feu". Als ihn das Regiment entlassen hatte, kehrte
er nach Paris zurück, mitten in der stürmischsten
Entwicklung unter den schwersten und engsten Ver-
hältnissen. Die meisten seiner ergreifenden und er-
schreckend wahren Köpfe der Desoles, Desherites,
Epaves entstanden. In allen seinen Werken spricht
sich immer seine Persönlichkeit, seine eigene Em-
pfindung aus. Was er lebte und litt, schilderte er. So
auch in diesen Köpfen, die mit
des Künstlers Herzblut, aus
seinem ureigensten Erleben her-
aus geschaffen sind. Fieberhaft
beinahe, in blühendem Reich-
tum der Gedanken und Pläne,
schuf er, Impressionen auf Im-
pressionen gab er Gestaltung,
um vieles sofort wieder zu zer-
stören. Damals entstand das
Mittelstück des Giebels für das
Schloss Meslay-
le-Vidatne, ein
echt französi-
sches Dekora-
tionsstück von
entzückender
Grazie und
Formvollen-
dung. Und wie
poetisch der Ti-
tel: „Die Zeit
enthülltdieStun-
den!«
In jener Zeit
bildete sich sein
Stil heraus in
seiner Pracht,
Ursprünglich-
keit und Tiefe.
Carries gleicht
in manchen
Stücken Michel-
angelo. Wie die-
ser hatte er keine
freudige und
freundliche Ju-
gend, wie dieser gehört er zu den grossen Märtyrern
der Kunst. Carries' Kunst hatte etwas von geheimnis-
voller Zukunftsahnung, sie atmete den starken rätsel-
haften Drang des Neuen, Bahnbrechenden. Voll Trotz
und Energie, voll Schmerz wirft eine solche Natur ihre
Schöpfungen in die Welt, rücksichtslos darin, sich
weiter zu entwickeln. Und dieses Neue, Unverstan-
dene stösst die blöde Menge ab. Solche Künstler
leiden darum durch ihr Schaffen.
Aber sie sind die grossen Einsamen und die
Loyse Labe von J. Carries; Bronze ä cire perdue.
einsamen Grossen. Sie repräsentieren die feinste
Blüte, das Essentielle des Künstlertums, sie erfüllt der
heilige Ekel von allen Banden und Fesseln, von dem
Schulzwang, von dem Typischen und Handwerks-
mässigen, weil sie persönlich sind im innersten Kerne
ihres Wesens. Und diese Abneigung ging bei Carries
zu Zeiten bis zur Abneigung gegen das herkömmliche
Material, die Bronze und den Marmor. Der Unter-
schied zwischen der blitz-
blanken Bronze auf Ausstel-
ungen, der zuckerähnlichen
Gelecktheit des Marmors und
dem baldig darauffolgenden
Schmutz kam ihm lächerlich
vor. Die warmen Töne der
Terrakotta liebte er und den
feinen Schimmer des farbig
getönten Wachses. Ebenso-
\ \ sehr hasste er den äusser-
0k- liehen Verismus,
die leere tech-
nische Bravour-
arbeit, die ihr
Höchstes in der
verblüffenden
Imitation von
Spitzen u. s. w.
sucht und in der
italienischen
Plastik des ig.
Jahrhunderts so
abgeschmackte
Auswüchse ent-
stehen Hess.
Damals war
Carries 25 Jahre
alt. Der Salon
von 1881, in dem
er ausstellte, sah
seinen ersten
grossen Erfolg,
besonders bei
den Künstlern.
J. Breton Hess
sich von ihm
Versuchen ging
Carries' Händen
modellieren, und nach mehreren
diese Büste als Meisterwerk unter
hervor. Unterdessen war er einige Zeit in Waller-
fangen bei Saarlouis, in der Familie Villeroy's ge-
wesen, der als Mitbesitzer der grossen keramischen
Fabrik von Villeroy & Boch allgemein bekannt ist.
Vielleicht war es auch die alte Liebe zum Thon, der
ihn der Einladung seiner alten Gönnerin Madame
Onofris, Villeroy's Schwiegermutter, folgen Hess. Prak-
tisch hat er sich auf dem Gebiete der keramischen Kunst