Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

DOI article:
Braun, Edmund Wilhelm: Jean Carriès
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0237
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
230

JEAN CARRIES

die bezaubernde

ihn gemacht: sie vereinigen sich zu einem starken
leidenschaftlichen Drängen, und als diesem Drange
freie Bahn gelassen wurde, war Jean Carries, der grosse
Töpfer, geboren. Wer kennt nicht die entzückende
Charme, die raffinierte Zufälligkeit
Grazie der japanischen Glasuren
und Emails, die originellen auf
intimste Naturkenntnis basieren-
den Tierformen, die groteske wilde
Satire ihrer Fratzen! Das Charak-
teristisch-Satirische weckte Ver-
wandtes in Carries — von seinen
Köpfen der Epaves, Desesperes
war er zu den Fratzen, den „Mas-
ques de rire" zu seinen Masque
de Carries criant" gekommen —
das raffiniert Künstlerische war ein
integrierender Bestandteil seines
Wesens. Seine Träume schufen
ähnliche herrliche Werke;
er suchte und schuf sich
die technischen Mittel zur
Ausführung. „J'ai lamarotte
maintenant de faire des gres
mats, avec email, mais tou-
jours mats. Tout ca me
trotte par la tetc, mais ne
me lache pas. Je voudrais
bien pourtant etre tran-
quille partout." So rief er
aus. Wieder wandte er sich
an einen kundigen Meister,
an Jean Limet, der ihn nach der
Niverne, dem Lande der länd-
lichen Töpfer, führte. Hier, unter
diesen primitiven Materials- und
Arbeitsverhältnissen, fertigte Car-
ries seine ersten Versuche, die von
erstaunlicher Feinheitsind. InSant-
Amand-en Puysage setzte er sich
fest, um zu schaffen. „Je suis ici
pour la terre, voilä tout" schrieb
er nach Paris. Mit der ihm eigenen
Energie und Leidenschaft warf er
sich auf seine neue Kunst, der er
Tausende von Franks, den Ertrag
der Ausstellung im Jahre 1
opferte. Nur das Steingut reizte
ihn „le male de la porcelaine",
wie er es nannte: Porzellan selbst
zu machen hat er nie versucht. Er experimentiert mit
Metalloxyden und erfindet ein schönes Kupferblau
mit graulichen Sprenkelungen und Wolken. Mit zer-
stossener Lava, mit pulverisiertem Kieselstein macht
er glückliche Emailversuche. Und dabei stetige

Vignette, gezeichnet von A. Glaser, München.

Widerwärtigkeiten mit den niedrigen und indolenten
Töpfern in Saint Amand. Aber er siegt und ist erfüllt
von neuen Ideen in der Ausgestaltung der Form, in
der Dekoration. An die alten Bartmänner klingen an
die tonnenförmigen Töpfe mit dem Kopf eines Bauern
in Relief, zu seinen Masken und
Fratzen traten seine phantastischen
ebendigen Frosch- und Kröten-
gruppen — der groteske, an die
besten japanischen Werke erin-
nernde Frosch mit den Eselsohren
—, die entzückende Statuette eines
Kindes mit einer Maske in der
Hand, der ergreifende Faunskopf.
Die verschiedenen Töpfereien seien
kurz aufgezählt, es sind die Stücke
in chinesischer und japanischer
Art, die „pieces rustiques et bar-
bares", diejenigen, denen Früchte,
wie Melonen, Kürbisse,
Birnen als Vorbilder ge-
dient haben, dann regel-
mässig geformte und an-
schwellende Gefässe mit
und ohne Hals mit breiter
Mündung, die wenigen
grossen Vasen und die mit
Skulptur dekorierten Stücke,
tonnenförmig mit Masken,
Grimassen, Töpfereien "mit
Fratzen in Relief oder selbst
als Fratzenköpfe gebildet.
Was Carries von den Japanern
unterscheidet, das sind seine mat-
ten harmonischen Glasuren, die
seiner Vorliebe für Patinatöne
entsprechen.

Vor allen Dingen sein Haupt-
werk, das allerdings nicht ausge-
führt wurde und nur als Modell
vorhanden ist, die grosse Thür
nach dem Entwürfe Grasset's. Ein
merkwürdiges, einzig dastehendes
Werk. Zwei breite aufsteigende
Pfeiler vereinen sich in gedrücktem
Korbbogen. So entsteht ein Rah-
men. Von dem unteren Teile des
Bogenansatzes in diesem Rahmen
gehen zwei geschweifte Rippen,
ähnlich dem spätgotischen Esels-
die Mitte des Bogens mit einem Auf-
Ein leichter Mittelpfeiler trägt

rücken, aus, die
satze durchbrechen
auf einer Konsole eine reizvolle, jugendliche Frauen-
gestalt, die unter dem baldachinförmig ausladenden
Eselsrücken thront. Ein selten graziöses und preziöses
 
Annotationen