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Kurth, Ferdinand Max [Contr.]; Reichard, Mea [Contr.]
Das Kunsttheater: Zeitschrift für künstlerische Kultur — 1902

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Ernst, Paul: Die Göttin der Vernunft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65889#0028

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ein kläglides und übelriechencles hinterſtübchen bei einem handwerker
war- Als ſie dort wieder zu ſich gekommen / erzaͤhlte er / nachdem er
clas beſchehene errathen / daß ſeine heutige Strafe verurſacht ſci durch
ein flugblatt über den örafen und die heirath und deren zwech / nam-
lich einen Schandtleckel für die lüſte des erzbiſchofes zu ſchaffen Stumm /
ohne Thranen / ganz erſtaunt / und mit brennenden Augen hörte die
6räfin die Erzählung- Sie faß- An dem Thürpfoſten lehnte der hantl-
werksmeiſter / ein riefenhafter orobſchmiech mit untergeſchlagenen nackten
Armen und finſterm öeſicht. der Tribun hupfte lächerlich im zimmer
herum (fie dachte: wie ein eichhörnchen) / ballte die fauſt / ſprach zu ihr
lüßliche worte / rühmte ſich und ſeine Macht und erzählte, daß er ſehr
ſchöne Augen habt ˖ Er tippte dem Schmied auf den bauch untl rief:
‚der hofſchmietl / ſchuldig bleibt der fürſt ihm Alles / und nicht einmal
klagen darf er-* Sit lachte hell auf / denn ſie glaubte zu trãumen und
clachte / ſie wolle ſich ganz gehen laſſen und den Traum völlig zu Ende
bringen; ſie ſagte ſich auch: dieſes hier bin ich ja gar nicht ˖“

der Tribun kniete vor ihr / küßte ihr die Nände- dann ſchrie er:
„Wein her / Wein her“ der finſtere SHmied holte wein und 6läfer, goß
ein / nahm eine für ſich und rief / mit ſaͤchſiſcher Ausſprache: mietler mit
Pfaffen und fürſten⸗ Nieder mit Pfaffen und fürſten' ſchrie der be-
trunkene bucklige mit Kopfftimme- die örãfin lachte da lachte er wie
verrückt mit ihr. der Schmietl packte ihn wütend im Genik- Er kreiſchte:
‚19 bin der redliche volkstribun / vor mir zittern dic fürſten auf ihren
Thronen⸗ der Schmied verſicherte / er für ſich ſci ein bürgersſohn aus
leipzig / ging aus dem zimmer / ſchlug die Thür ſchmetternc zu.

Da legte der Tribun ſeine langen Arme auf den Tiſch / und ſeinen
Kopf auf die Arme / daß der hohe buckel ihm über den kahl werdenden
Kopf hinwegſah ˖ das licht erzeugte auf der blatze und auf dem speckig
geriebenen Rock oben auf der höhe tles buckels einen Schein. Er weinte /
und der Jammer ſtieß ihn / daß die ſchlechte Tiſchylatte ſich bewegte und
clas Öl der trüben funzel ſchwankte Unter chlucken brachte er ab-
geriffene worte hervor: „Ich habe die öerechtigkeit geliebt und das Un-
recht gehaßt / für die Armen und Unterdrückten habe ich gekampft / des-
halb bin ich ſo blutarm ˖ viel Geld haben ſie mir angeboten / viel Geld-
aber ſie zittern vor mir / ſie lallen mich auspeitſchen und zittern; clenn
der Cag kommt / da werden ſie an den Pfahl gebunden / da werden ſie
gepeitſcht / denn das volk langt ſeine ewigen Rechte von den sternen /
da ſtehen ſie geſchrieben. 0, wie weh thut mir mein armer kranker
köryer / Einer ſollte doch Mitleicl haben mit mir- denn mit wem ſoll
ein menſch wohl Mitleid haben / wenn er nicht Mitleid hat mit mir /
denn ich bin fo blutarm / und krank / und verfolgt; ach / ich möchte
ruhen / ruhen!“

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