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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,1.1908

DOI Heft:
Heft 2 (Zweites Oktoberheft 1908)
DOI Artikel:
Breithaupt, Rudolf Maria: Der Erste Klavier- und Musikunterricht
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Avenarius, Ferdinand: Straßenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7704#0116
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allen menschlichen Tuns, die Lust uud Liebe crhalten. Es ist nichts
so schwer, daß es sich nicht erlernen ließe, — man mache es nur
nicht schwer, sondern pflege das Beste unsrer Iugend: ihre fröhliche
Frische und jugendliche Keckheit, — die Naivität!

Rudolf M. Breithaupt

SLraßenkunst

-^^.eulich schrieb mir W. Schmidt:

^»I^E--Was moderu ist, muß natürlich gcmacht wcrdcn! Nun
^ v'wird es zufällig modern, als Koufektionskaufmann Firmen-
schilder in Gestalt großer Glasungeheuer mit Niesenlettern in Gold
und Silber zu haben, und so muß jeder, der den »Zug der Zeit«
verspürt, sein anständiges oder weniger anständiges Aushängezeichen
herunterholen lassen und so ein schönes neues, großes Goldbuch-
stabenschild bestellen.

Stiefelkaufleute, Wein- und Zigarrenhändler, Fettwaren- und sogar
Milchhändler können jetzt nur noch Geschäfte machen, wenn auch sie
wie der Konfektionär den werten Geschäftsnamen in Riesenschrift
erkennen lassen. An jenen alten Aushängezeichen, dem großen Schaft-
stiefel, der großen Traube oder dem Weinglas, der Riesenzigarre, dem
Neger mit der langen Pfeife, oder den gemalten Zigarrenkisten-
tafeln, an der Pyramide von holländischem, roten und grünen Käse,
sowie an dem Milchbottich oder dem Buttersieb tpürde doch kein
Mensch sehen können, was es hier und dort zu kaufen gibt! Nnd
dann der Name! Wenn nun, wer Zigarren braucht, kein so großes
Schild von Beier aus der Ferne gewahrte und zu Meiern statt zu
Beiern liefe, was für ein Schaden wäre das für Beiern!

Die Herren müssen sich einbilden, Laufkundschaft suche uach Schil-
dern. Aber Laufkundschaft sucht uach Schaufenstern, und ist das
rechte gefunden, so ist ihr die große Firma ganz gleichgültig. Sucht
aber einmal einer von weitem einen Zigarrenladen, so kann er ihn
doch wirklich eher an der großen Zigarre herausfinden, als an dem
riesigen Schild mit irgendeinem Namen, das von derselben Sorte
auch neben, unter und über ihm prangt."

Der uns das schreibt, rührt damit an einer Sache, die wir im Kunst-
wart schon mehrmals behandelt haben. Aber einmal ist keinmal, zwei-
mal ist auch zu wenig, „du mußt es dreimal sagen", wenn's wirken
soll. Und zur Abwechslung statt mit kleinem heute mit großem Druck.

Also: verehrliche Frau Reklame, Sie, die neulich ein berühmter
Gelehrter in seiner Ehrfurcht sogar Ihre Majestät genannt hat —
wie ist es möglich, daß Sie Ihre Straßenangelegenheiten, was Schilder
betrifft, so, sagen wir: schulmeisterlich nüchtern behandeln lassen?
Die Sie doch sonst Ausbünde von Phantasie zu Ihren Dienern
haben! Es ist ja klar wie die Sonne, daß z. B. eine goldene Sonne
weiterhin auf ein Gasthaus zur Sonne aufmerksam macht, als ein
Schild, auf dem geschrieben steht: „Gasthaus zur Sonne". Warum
setzen Sie denn bei Zeitungsannoncen und Plakaten Bildchen und
Bilder zwischen die Schrift, als, weil das mehr auffällt? Ferner:
es ist doch klar, daß ein flach an die Mauer geklebtes Schild eigent-

ö6 Kunstwart XXII, 2
 
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