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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,1.1908

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Heft 3 (1. Novemberheft 1908)
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Mangoldt, Karl von: Warum sind unsre neuen Stadtteile so häßlich?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7704#0197
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Iahrg. 22 Erstes Novemberheft 1908 Heft 3 ^

Warum sind unsre neuen Stadtteile so häßlich?

^^st dre Häßlichkeit unsrer Städte in den Teilen, die aus den
^t letzten fünfzig bis sechzig Iahren stammen, ein Zufall? Das
^Fwird nur der annehmen wollen, der überhaupt an den Zufall
im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben glaubt. Ieder andre
wird für unsrer Zeit eigentümliche Erscheinungen nach unsrer Zeit
eigentümlichen Ilrsachen suchen.

Zunächst hat es das so überaus schnelle und starke, und namentlich
auch das stoßmäßige Wachstum unsrer Städte ganz natürlicher-
weise mit sich gebracht, daß eine Menge von Kräften sich im Häuser-
bau betätigte, denen es selbst an einfachster künstlerischer Gestal-
tungsfähigkeit, ja sogar an Empfindung und gutem Willen für
bauliche Schönheit fehlte, während zugleich die Gewerbefrei-
heit auch dem Schuster und Schneider die Möglichkeit gab, seinen
Mitbürgern das Leben durch eigcne architektonische Kunstleistungen
zu verschönern. Dann aber trat in der Organisation des Vau-
gewerbes und in der Art der Bauherren ein tiefgreifender
und für die künstlerische Kultur des Städtebaues sehr unglücklicher
Wechsel ein. In den ältcren Zeiten ging bei uns der Hausbau
zum großen Teil von Leuten aus, wclche die neuen Häuser für
sich und ihre Familie und allenfalls noch für eine oder einige
wenige Mietparteien zum dauernden Gebrauch errichteten. Sei es
nun, daß sie selber der Reihe nach die einzelnen Bauhandwerker
sür die vsrschiedenen Bauarbeiten heranzogen, sei es, daß sie das
Haus im ganzen nach den ihnen vorgelegten Plänen bei eincm
einzelnen Maurer- oder Zimmermeister bestellten; immer floß auf
diese Weise in den Hausbau ein Stück individueller Ausprägung
und besonderer Gestaltung ein. In der neuen Periode dagegen

drängtc sich in Zusammenhang mit dem raschen Zustrümen un-

gezählter Volksmasseu zu den Städten immer mehr der Bau auf
Vorrat, das ist die spekulative Errichtung von Häusern zum Ver-

kauf iu den Pordergrund. Es leuchtet aber ein, daß solche Pro-

duktionsware weniger persönlich werden muß, daß sie lange uicht
mit der Liebe und Sorgfalt gebildet wird, wie das, was in den
ältereu Zeiten der Vauherr für seinen eigenen Gebrauch errichtete.
Weitere llmstände traten hinzu. Das neue, anwachsende Stadtvolk
bestand in großen Massen aus Zugezogenen. Diese Zugezogeneu
aber, die von ihren heimatlichen kleinen Dörfern und Städten los-
gerissen waren, waren damit natürlich auch losgerissen von der „nur"
haudwerksmäßigen, aber doch immerhin wohltätig wirkenden Tra-
ditiou, die in ihrem Heimatorte die Gestaltung der äußeren klm-
gebuug mitbestimmte. In den Städten aber, in denen sie sich nun-
mehr ausiedelten, gab es zu allem Anglück für solche Massenansied-
luug fremder Arbeiter und Gewerbetreibender natürlich zunächst fast
gar keinc Vorbilder: kein zuverlässiges Beispiel konnte da helfen,
keine heilsame Gewöhnung und Äberlieferung, wie sich solch be-

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