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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,1.1908

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1908)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7704#0463
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Lebende Worte

zu verdienen, es wird wahrschein--
lich bei jedem Stück vom Dürer-
bunde noch dranfgezahlt. Sondern
deshalb: weil für alle unsre ge-
meinsamen Zicle, für Gesundheit,
Wahrhaftigkeit und freudespendende
Kraft deutscher Kultur auf keine
Weise leichter ein erstes Verstehen,
eine erstc Geneigtheit zum Mit-
bessernwollcn bei unsern Volksbrü-
dcrn gewonnen werden kann, als
durch den »Gesundbrunnen«. Wo
auch der noch zu teuer ist oder
wo sich's um ganz junge Leute
handelt, da denkt wenigstsns an

das Büchlein »Heb mich auf!«. Alle
Hilfsmittel, die der Dürerbund be-
schaffen kann, helfen ja nichts, wenn
sie nicht benutzt werden."

Vom OffenhalLen des Gei-

stes

^ür den denkenden Menschen ist
O gegenüber der ganzen bisher ab-
gelaufenen Weltgeschichte das Offen-
halten des Geistes für jede Größe
eine der wcnigen sicheren Bedingun-
qen des höheren geistigen Glückes.

I. Burckhardt

Ansre Bilder und Noten

>>^^ndrea Mantcgnas Gottesmutter mit dem Kind. Unsre
kunstgeschichtlichen Kenntnisse werden nns insofern nützlich sein,
^v-^als sie uns sagcn: der das malte, wußte mit geologischen Formcn
schlecht Vescheid, sonst hätte er nicht eincn Basalt- oder gar einen Marmor-
fels so gemalt, wie er's hier getan hat. Auch insofern können sie uns
dienen, als sie uns an Mantegnas wahres Verhältnis zur Plastik und
zur Antike erinnern, auf welches in unserm Bilde vislleicht dieses und
jenes zunächst Befremdende zurückgeht. Schließlich werden sie uns be-
sonders vor dem Christkindskopf daran gemahnen, daß Mantcgna in
andrer Beziehung ein harter Realist war. Zum Entfernen von Hem-
mungen des Kunstgenusses, also zum „Wcgräumen", werden sie uns
demnach von Vorteil sein. Zum Aufbauen, zum „Einstcllen" brauchcn
wir sie vor dem gewaltigen Werke nicht, das unser Zweiplattendruck
nachbildet. In welcher Schönheit Mantcgna schafsen konnte, davon zeugt
am schnellstcn das Madonnengesicht; daß ihm aber die Schöuheit nicht
das Höchstc, daß ihm die Seele, daß ihm der Ausdruck das Höchste
war, davon zeugt am schnellsten das Ehristusgesicht. Man muß sich
deshalb in dieses Scelische vertiefen, um das durchaus Eigene dieses
Werkes zu erfassen. In ein menschlich Kinderkörperchen ward vom heiligen
Geiste eingchaucht ein Gottesgeist; der sicht nun das Kämpfen bis zum
Kreuzestod vor sich, wissend, daß er an diesen Leib gebunden cs leiden
wird als Mensch, doch ergcben in den Willen des Vaters, zu dem er aus
dicser Nicdrigkeit emporblickt. „Es muß geschehn!" — das waltet über
dem Bild. Auch diese Mutter weiß, daß es geschehen m u ß. And nun die
Art der geistigen Monnmcntalisierung der zwei. Kein Entrücken aus
dem Irdischen durch Goldgrund oder idcale Amgebung; selbst der Heiligen-
schcin ist nur ein Leuchten, durch das der Hintergrund schimmert. Gottes-
mutter und Gotteskind weilen ganz auf der Erde. Dahinten arbeiten die
Steinmetzen am Berg, treibt der Hirt seine Herde, sammeln dic Schnitter das
Korn, schreiten die Wandrcr von Ort zu Ort — dahinten lcbt die Mensch-
heit, liegt die Welt. Dahinten ist, wofür sich hier das Opfer bereitet.

Mit solchem thronendcn Werk Bilder zu vergleichcn, in welche die

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