alten schönen Tracht ist freilich auch vieles andere aus den Häusern
verschwunden, das man nicht gern vermissen sollte. Noch vor zehn,
zwanzig Iahren waren die HLuser angefüllt von dem alten, biederen
Hausrat, einem Reichtum praktischer und solider Möbelformen, mit
den alten Gläsern oder Porzellan oder Steingut und sonstigen Gegen--
ständen der Kunst im Hause — heute findet man nur vereinzeltes
Erbgut und dieses oft in vernachlässigtem Zustande. Die meisten
haben sich neues, billiges Gerümpel angeschafft. Der tzändler oder
Trödler, der, wie wir sehen werden, auch eine kleine Rolle im Kunst- -
genuß auf Reisen spielt, hat den kostbaren alten Hausrat an sich
gerissen. Es gehört mit zu den Pflichten einer auf diese Art ge-
forderten Heimatpflege, die unwissenden Besitzer auf dem Lande über
den Wert dieses alten Kulturbestandes aufzuklären, denn nur hier,
wo dieser BesitzstanL im Leben ein organisches Glied bildet, ist er
schön und künstlerisch wertvoll; ins Museum verschleppt, sinkt er zum
Gerümpel herab.
Dieses und noch viel mehr zu sehen und zu entdecken, ist unser
neues Reiseziel und Inhalt unsres Kunstgenusses auf Reisen. Wir
dürfen nicht meinen, daß es mit einem Mal abgetan ist. Dieses
organische Kunstbild ist so mannigsaltig, daß wir sicher sind, bei
jedesmaliger Wiederkehr an demselben Orte neus Wahrnehmungen
zu machen. Auf dieser Grundlage erhebt sich allmählich eine neue
Bildung, die uns das Erfassen dieser Eindrücke wesentlich zu erleich-
tern vermag. Ich gehe hierbei immer von der Voraussetzung aus,
daß wir hier im Interesse eines lebendigen und bleibenden Kunst-
genusses nicht von der wissenschaftlichen oder literarischen Auffassung,
sondern von der unmittelbaren, sagen wir notgedrungen „künst-
lerischen" Anschauung der Dinge sprechen, weil es doch der eigent-
liche Zweck unsrer Vergnügungs- oder Kunstreisen ist, eine möglichst
plastische Anschauung von dem Zustand der Dinge zu empfangen,
und von diesem Zustand auf den geschichtlichen Werdegang und auf
die Kultur zu schließen. Also nehmen wir den Stadtplan her, von
dem wir in dieser Beziehung Lie nachdrücklichste Belehrung empfangen.
Von den ganz großen Städten, wo die Dinge in den letzten fünfzig
Iahren geradezu auf den Kopf gestellt worden sind, sehen wir ab.
Die mittleren bilden noch immer ein wohlabgestuftes Bild ihres
Kulturganges, den man mit annähernder Gewißheit aus dem Stadt-
plan ersehen kann. Zahllose Städte unsrer Provinzen lassen durch
ihren Lageplan einen gleichartigen Typus erkennen, der durch die
Gleichartigkeit ihrer Eutwicklung, sei es als Bürgerstadt oder als
Fürstenstadt, bestimmt ist. Wir erkennen hieraus ohne weiteres den
Ausgangspunkt, den unsre Kunstwanderung zu nehmen hat. Der
Lebenskern dieser typischen Städte ist der große Stadtplatz. Als '
tzerz und Zentralpunkt des organisch gegliederten Gemeindewesens
nimmt er die Lebensflüsse auf und läßt sie nach allen Teilen ab-
fließen. Hier strömt alles zusammen, Wochenmarkt, geselliges Stell-
dichein, Sonntagsbummel, Festtreiben, das ganze bürgerliche Leben
spielt sich hier ab. Der Platz erscheint als geräumiger Festsaal neben
den schmalen Gassen, die dort einmünden und deren Engbrüstigkeit
die Weiträumigkeit des Hauptplatzes noch monumentaler erscheinen
8 Kunstwart XXII, sg
verschwunden, das man nicht gern vermissen sollte. Noch vor zehn,
zwanzig Iahren waren die HLuser angefüllt von dem alten, biederen
Hausrat, einem Reichtum praktischer und solider Möbelformen, mit
den alten Gläsern oder Porzellan oder Steingut und sonstigen Gegen--
ständen der Kunst im Hause — heute findet man nur vereinzeltes
Erbgut und dieses oft in vernachlässigtem Zustande. Die meisten
haben sich neues, billiges Gerümpel angeschafft. Der tzändler oder
Trödler, der, wie wir sehen werden, auch eine kleine Rolle im Kunst- -
genuß auf Reisen spielt, hat den kostbaren alten Hausrat an sich
gerissen. Es gehört mit zu den Pflichten einer auf diese Art ge-
forderten Heimatpflege, die unwissenden Besitzer auf dem Lande über
den Wert dieses alten Kulturbestandes aufzuklären, denn nur hier,
wo dieser BesitzstanL im Leben ein organisches Glied bildet, ist er
schön und künstlerisch wertvoll; ins Museum verschleppt, sinkt er zum
Gerümpel herab.
Dieses und noch viel mehr zu sehen und zu entdecken, ist unser
neues Reiseziel und Inhalt unsres Kunstgenusses auf Reisen. Wir
dürfen nicht meinen, daß es mit einem Mal abgetan ist. Dieses
organische Kunstbild ist so mannigsaltig, daß wir sicher sind, bei
jedesmaliger Wiederkehr an demselben Orte neus Wahrnehmungen
zu machen. Auf dieser Grundlage erhebt sich allmählich eine neue
Bildung, die uns das Erfassen dieser Eindrücke wesentlich zu erleich-
tern vermag. Ich gehe hierbei immer von der Voraussetzung aus,
daß wir hier im Interesse eines lebendigen und bleibenden Kunst-
genusses nicht von der wissenschaftlichen oder literarischen Auffassung,
sondern von der unmittelbaren, sagen wir notgedrungen „künst-
lerischen" Anschauung der Dinge sprechen, weil es doch der eigent-
liche Zweck unsrer Vergnügungs- oder Kunstreisen ist, eine möglichst
plastische Anschauung von dem Zustand der Dinge zu empfangen,
und von diesem Zustand auf den geschichtlichen Werdegang und auf
die Kultur zu schließen. Also nehmen wir den Stadtplan her, von
dem wir in dieser Beziehung Lie nachdrücklichste Belehrung empfangen.
Von den ganz großen Städten, wo die Dinge in den letzten fünfzig
Iahren geradezu auf den Kopf gestellt worden sind, sehen wir ab.
Die mittleren bilden noch immer ein wohlabgestuftes Bild ihres
Kulturganges, den man mit annähernder Gewißheit aus dem Stadt-
plan ersehen kann. Zahllose Städte unsrer Provinzen lassen durch
ihren Lageplan einen gleichartigen Typus erkennen, der durch die
Gleichartigkeit ihrer Eutwicklung, sei es als Bürgerstadt oder als
Fürstenstadt, bestimmt ist. Wir erkennen hieraus ohne weiteres den
Ausgangspunkt, den unsre Kunstwanderung zu nehmen hat. Der
Lebenskern dieser typischen Städte ist der große Stadtplatz. Als '
tzerz und Zentralpunkt des organisch gegliederten Gemeindewesens
nimmt er die Lebensflüsse auf und läßt sie nach allen Teilen ab-
fließen. Hier strömt alles zusammen, Wochenmarkt, geselliges Stell-
dichein, Sonntagsbummel, Festtreiben, das ganze bürgerliche Leben
spielt sich hier ab. Der Platz erscheint als geräumiger Festsaal neben
den schmalen Gassen, die dort einmünden und deren Engbrüstigkeit
die Weiträumigkeit des Hauptplatzes noch monumentaler erscheinen
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