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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
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Rinn, Hermann: Über die kulturelle Bedeutung der Zeitung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0032

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dung (vgl. Ernst Michel) nur der EnLfremdung und ZerklüfLung, der Ver-
fchärfung der KlassengegensäHe Vorspanndienfte.

III.

Gesinnungsmäßige und gefchäfLsmäßige AbsichLen verfchlingen sich bei der mo-
dernen Presse in ein, miLnnLer kaum zu enLwirrendes, verfängliches Knäuel
(daher die Form der ZeiLung das Unförmige, die ungeftalLeke Häufung ist, die
freilich demagogifchen 2lbsichken zugnLe kommt). GefchäfLszwecken enLspringt
die SLoffülle der Chronik der Tageshelden, der Politiker, Boxer, Filmftars,
Opernsänger, Wucherer, Erpresser, FassadenkleLterer, Diebe und Werwölfe,
alle den vulgären KlaLfchhunger säLLigenden '.IlenigkeiLen, wie Fefte, Rekorde,
llnglücksfälle, Skandale nnd Verbrechen. Hier nährL sich die Sehnsuchk eines
plebejifchen, enLformten, eines großen Anffchwunges unfähigen, nur mehr neu-
gierigen MenfchenLums nach einem noch ungebrochenen, farbigen, wenn auch
noch so rohen Dasein, das als SensaLion, als aufregender und aufpeiL-
fchender Ausnahme-Fall in die Form-, Sinn- und TroftlosigkeiL einer öden
Tagesniisere wie ein abgesprengkes Stück einer anderen Wirklichkeit herein-
ftößk. Das Wie dieser NachrichLen beweift genug, daß es sich nur um ein Spe-
kulieren ä baisse handelk, um ein Rechnen mik dem Bedürfnis nach Ablenkung,
ZeiLverLreib, ftarken Reizen bei niederfter geiftiger und seelifcher Verfassung.
Das Gleiche gilk meift für den UnterhalLungsLeil. Wer will es denn glauben,
daß das in der Presse unenkwegL sich immer wieder aufrollende Bild der
grauenhafken Schrecken und spärlichen Lichtblicke der WirklichkeiL zur LäLigen
HilfsbereiLfchafL, znm sozialekhifchen prakLifchen Dienft am Nächften mahnt?
SLeigerk sie nichL vielmehr die Vergröberung, die TeilnahmslosigkeiL der abge-
ftumpfken und verbiLLerten Massen?

Nun wirbL aber doch in derselben Akmosphäre das Gesinnungsmäßige nnd
Geiftige in den „FeuilleLons" um Sammlung und AufgefchlossenheiL. Zwar
haben auch da die oberen Gewalkhaber zumeift ein ZensurrechL anszuüben, aber
es gedeihL doch, wenn auch selken, inmiLLen lärmender Sensationen und agika-
Lorifcher Schlager manchmal das Feine, Stille und Hohe der Sprache, gerade
in den von der ZeiLung bedmgken, zugespi'HLen, bündigen Formen (wie auch die
ReporLage ihre „klassifchen" Leiftungen kennL). Was eine sachliche Kritik,
die von Lendenziösem Mißbrauch*) frei ift, gerade in der die weikeften Kreise er-
reichenden Presse kulkurell leiften kann, brauchL nicht bekonk zu werden. Ja
sogar eine popularisierende Aufklärung, die sich ihrer Grenze und ZnLräg-
keiL bewußt ift! (ErmiLLlungen über die „llnfterblichkeiL", die durch Skimmen-
mehrheiL zudem nichk beweisbar ift, gehören allerdings nicht in die Zeitung!)

Auf das Ganze gesehen, kann die Presse nie die kulLurelle Bedeutung be-
siHen, die sie sich selbft begeifterL zugeftehen möchte. Es muteL fchon als Läfterung
an, wenn ein englifcher Publizift behaupket, sie habe einen großen Teil der Auf-
gaben der miLLelalterlichen Kirche übernommen. Denke man über eine geift-
liche Führung, wie man will, den Literaten und Journaliften, gar als Hand-
langern von „JnLeressen", ftehL die Belehrung und Leikung der Menfchheh
am wenigften an. Aber wenn dem so sein sollte, so biekek die Presse jedenfalls
ein erbärmliches Surrogat, denn ihre GeistigkeiL ift eher die llniversaliLäL
' Dgl. die aufschlußreiche Broschüee: Der Kaiupf um Müuchen sPflauni-Verlag).
 
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