Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI article:
Reisner, Erwin: Über die kulturphilosophische Bedeutung der Psychoanalyse
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0044

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
und kulLurphilosophischen Kern zu enkdecken. Die KrankheiL selbst, miL der es
die Psychoanalyse ursprünglich allein zu Lun haLLe, isi sa ein Gewordenes und
also ein GeschichLliches. Auch sie kann enLweder als von außen her verur-
s achL, d. h. „hjstoris ch", oder als von innen her b e g r ü n d e L, d. h. „rny -
Lhisch" gedeuLeL werden. Die hisiorische DeuLung isi die sür unsere.ganze
neuere Medizin charakLerisiische; und dieser Theorie der KrankheiLsherkunft
enLsprechen auch die üblichen HeilmeLhoden, die von außen her, durch EnL-
fernung der Ursachen oder Zufuhr von Gegennrsachen, des Leidens
Herr zn werden LrachLen. Das gilL ebenso von der Chirurgie wie von der Se-
rumLherapic, den beiden vorzüglichften MiLLeln moderner ärzLlicher Kunft. Die
in jüngerer ZeiL üblich gewordene Zurückführung vieler Leiden auf „nervöse"
Ursachen hingegen klingL bereiLs merklich an die „myLhifche" DeuLung von
innen her an, wenn freilich hier auch immer noch anaLomifch-äußerlich, d. h.
eben ursächlich erklärL und das Übel durch äußere Behandlung des Nbrven-
syfiems zu kurieren gesuchL wird. Die Psychoanalyse jedoch machL sich auch
von diesem leHLen „Hifiorismus" frei und verlegL LaLsächlich den Herd der
KrankheiL in das ysychische Ich des Menschen. Daß sie es nur miL neuroLi-
schen Erkrankungen zu Lun haL, isi yrinziyiell gegensiandslos, weil es, wie Hans
Blüher in seinem neuesien Werk „TrakLaL über die Heilkunde" Lresfend be-
merkL, gar keine Krankheiten, sondern nur eine einzige KrankheiL gibL, die sich
auf verfchiedene ArL äußerL.

Die Emanziyakion des objekLiven Zchs vom snbjekLiven (des Körperlichen vom
Psychifchen, des Triebes vom Willen nsw.) wird in der Psychoanalyse rms
einer SpalLung gedenLeL, die sich im Ich selbsi vollziehL, man könnLe also miL
unserem früheren Ausdruck auch sagen: aus einem Abfall des Jchs von seiner
ursyrünglichen EinheiL. Nun suchL aber Freud, wie dargeLan wurde, den
llrsprung keineswegs im freien, geifiigen und bewußL wollenden, sondern im
LriebhafLen Ich. Die SyalLung ifi also kein Abfall von einem höheren, son-
dern das Auffieigen aus cinem LriebhafLeren Zufiand. Die KrankheiL erfcheinL
nichL als Ausdruck einer Schuld, einer Sünde gegen GoLk, sondern eher nm-
gekehrL als eine ArL IInLreue gegen den „Herrn dieser Well", gegen den Tenfel,
so zwar, daß gerade das yosiLive Momenk der neurotifchen Erkrankung, der
hyfierifche GewissenskonflikL, also das Bewußksein einer zum Teil noch immer
vorhandenen GoLLesebenbildfchafL als das eigenLlich NegaLive gewerkek wird.
Ich habe kürzlich an dieser selben SLelle über den IInLerfchied zwifchen Hifioric
und MyLhos gesprochen. Wir erkennen nunmehr, welcher Ark eigenklich dcr
psychoanalykifche MyLhos ifi. Die geifilose hifiorifche Auffassung haL Freud
zweifellos überwunden, eine Tak, die ihm, wie der große Anklang beweift, den
seine Lehre gefunden haL, miL vollem Rechk hoch angerechneL worden ifi. Den
Weg zur absoluL myLhifchen Erklärung der KrankheiL als Schuld nnd Ab-
fall von GoLL aber haL er LroHdenr nichL gefunden, sondern sich für die bloß
psychologifch-mythifche, und das will sagen: für die chthonifch-mythifche oder,
um einen noch bezeichnenderen Ausdruck zu gebrauchcn, für dre dämonrsch -
mythrsche Lösung entfchieden. Der MaLerialismus mag goLLfremd und
goLLblind sein, aber erfi der Dämonismus isi wahrhafL goktfeindlich. Ilnd so
bildeL die psychoanalykifche Theorie, zur WelLanfchauung und Phrlosophie er-
wer'LerL, LroH der bewunderungswürdigen Schau- und Gefiallungskraft ihres
 
Annotationen