Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI article:
Reisner, Erwin: Über die kulturphilosophische Bedeutung der Psychoanalyse
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0046

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
wesen der Psychoanalykiker bestehk eben der fundamenrale llnkerschied, daß dork
— ob mekhodologisch zulässig oder nichk, soll hier nichk näher unkersuchk wer-
den — in den Trieb der stärkste ekhische Wille zur Selbstbehaupkung, auch
um den Preis des eigenen individuellen Lebens, mik hineingekragen erscheink,
daß also ein eigenklich mekaphysisches Ekwas hinker der psychologischen Maske
auskrikk, während hier kaksächlich der jedes Jch und jedes Selbst überhaupk
verneinende Trieb allein übrigbleibk. NieHsche verkrikk gewiß einen verzerrken
Heroismus, eine zur Hybris gesteigerke Herrenmoral, aber doch eine Herren-
moral, Freud hingegen die kypische „Sklavenmoral".

*

Wenn irgendeine Theorie behauykek, alle geistesgeschichklichen Erscheinungen
aus einem einzigen Prinziy ableiken zu können, hak sie enkweder unrechk, oder
sie stehk selbst gleichfalls uuter diesem Prinzip. Wenn aber das der Fall ist,
ohne daß sie sich darüber ins Klare kommk, so muß ihr das
Prinzip, über das sie reslekkicrk und von dem sie sich also ausnimmk, nokwendig
in verstümmelker, ja in geradezu verkehrker Gestalk erscheinen. Ilnd eben das
krifsk zn auf den sogenannken „Hdipnskomplex", den Freud selbst die eigenkliche
Grundlage seiner Lchre nennk. Daß die Ürschuld des Menschen die 2lus-
lehnung gegen den Vaker, nämlich gegen Gokk und die damik verbundene sexu-
elle Vergewalkigung des Weibes ist, damik hak die Psychoanalyse freilich rechk.
Nur handelk es sich hier eben nichk um eine empirisch-historische, sondern um
eine mekaphysische oder mykhische Schuld. Nichk der leibliche, der geistige
Vaker, das Gökkliche und Urbildhafke wird negierk, und zwar gerade zugun-
sten des llngeistigen, des bloß Nakurgebundenen und Triebhasken. llnd die
Psychoanalyse ist selbst der eklakankeste Ausdruck dieser
Schuld, das Ergebnis einer Berdrängung des Vakerkom-
plexes; denn sie verkehrt, indem sie die mekaphysische Wahrheik ins bloß
Psychologische wendek, den ganzen Vorgang des Abfalls in sein genaues Ge-
genkeil. Nichk die Einheik und Harmonie mik dem gökklichen Willen, sondern
der a priori gegen das väkerliche Prinzip gekehrke Trieb stehk nun am Anfang
der Dinge. So zeigk sich uns zum Schluß, daß die psychoanalykische Philoso-
phie nichks anderes ist als kheorekische Auslehnung gegen Gokk, dem ähnlich
zu werden man sich unsähig sühlk und den man daher leugnek, bezw. durch
Leugnen köken will. Der Haß gegen den Schöpser ist die leHke Triebkrast
zwar nichk der Neligionen und der anderen Kulkurerscheinungen, wie Freud
uns glauben machen will, wohl aber seiner eigenen Lehre.

Es ist das Beleidigende und Empörende an aller psychologischen Schnüsselei
übcrhaupk, daß sie auch die überindividuellsten Skrebungen des Menschen aus
seinen unkerindividuellen Trieben zu erklären suchk. Wohl bleibk der Wille
immer das zuleHL Ausschlaggebende, auch im Religiösen, im Künstlerischen und
Philosophischen, aber eben doch der mekaphysische Wille, der sich niemals zum
Tbjekk der Psychologie hergibk. Wenn nach Jbsen „dichken" Gerichkskag hal-
ken heißk über das eigene Jch, so gilk das in noch Diel höherem Maß vou
ciner richkig verstandenen Psychologie. Damik aber ist auch schon gesagk, daß
die Ethik niemals Problem des psychologischen, sondern nur umgekehrk die
Psychologie Problem des ekhischen Denkens werden kann.

Z2
 
Annotationen