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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1927)
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Wittig, Joseph: Die Kunst in Neusorge
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0097

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Das isi halk die Kunst! Ach, lieber Vaker, kein Künsiler häkke sich als llr-
heber dieses Bildleins bekennen mögen! Alle häkken sie gesagk, es sei gewöhn-
licher Wallfahrksbndenkiksch! Wohl soll so das Werk der Künsilerhand auf
die Menschen beseligend und verwandelnd wirken. Mir armem Jungen aber
schickte Gokk dieses Reikerlein der Freude nichk auf dem siolzen Roß der „Kunst",
sondern er segnete den „Kiksch" wie den Esel, der den Heiland der Welk
Lragen durfke.

Eine große Woge seliger Freuden kommk aus den Wallsahrksbuden und den
kleinen „Kunsiläden" über das arme, einsache Dolk. Jhr Künsiler, machk dies
ersi einmal nach und überbiekek es; dann ersi dürsek ihr enre Kunst erheben
über jenen Kram. Einstweilen hak jener Kram die Berusung. Eure Werke
müssen ersi wieder so demütig werden wie jener Kram; dann dürsek ihr hossen,
daß dic Berusung zu euch zurückkehre. Ach, ich wünschte es so sehr, so sehr!
Das Kunsigewerbe hak einmal diesen Weg versuchk; es griss in die Bauern-
kunsi hinein und wollke von dork aus den Weg sinden, aber in alke Bauern-
kunsi, von der jehk die Bauern nichks mehr wissen wollen. Ganz wunder-
barer Ilrväkerhausrak wurde erneuerk und wurde auch gekansk, aber nichk vom
„breiken Bolke", sondern von denen, die gar nichk zu dem Volke gehören wol-
len, das einsi solchen Hausrak gebrauchk hak. Jch selbsi war und bin Liebhaber
solcher kunsigewerblicher Hisiorismen; die Bauern nennen sie „alksränk'sch"
und mögcn sie nichk (nnb haben rechk barin!). Sie wollen die Sprache, die
zu ihnen gesprochen wird, nichk die Sprache, die einsi zu ihren Großväkern
gesprochen wurde. Die Kunsisabriken wissen sie; es isi ein Fammer, daß dieses
Wissen aus sie übergehen mußke; und es scheink gar keine irdische Möglichkeik
zu sein, daß die Künßlerschask dieses Wissen wieder an sich reißen könnke, so
wie auch gar keine Möglichkeik zu sein scheink, daß die Kunsi der Kriegsführung
wieder einmal Sache siolzer Reikerscharen sein könnke. Es gibk noch Künstler,
wie es noch Reiker gibk. Zur Repräsenkakion wird man immer Reiker brauchen.
Auch Künsiler.

Es isi aber nichk zum Verzagen. Die Welk hak sich schon ofk aus ihrem llr-
sprung heraus erneuerk, und jedesmal hak auch die Kunsi wieder ihre Bern-
fung bekommen. llnsere Welkgeschichke isi die Geschichke von den unkerge-
gangenen Welkcn; werdende Welken kann kein Geschichtswerk erfassen. So
war die Zeit um das Jahr 600, in der alle alke Kunsi abgesiorben war —
jedes Lehrbuch der Kunsigeschichke zeigk dork ein jahrhunderkeweikes Grab, in
dem nur Reliquien waren und aus dem nur Hosfnungen emporwuchsen —-
ein Welkunkergang, nichk unker kheakralischen Kakasirophen, sondern wie eben
eine Welk unkergehk: sie legk sich schlasen. llnd was für eine herrliche Welk
isi dann neugeschafsen worden! llnd was für herrliche Künsilcr empfingen ihre
Berufung! Ich habe den Giokko und die Pisaner Mcister immer geliebk,
weil sie den Hauch Gokkes wieder so frisch an sich krugen wie Adam im Pa-
radiese.

Rkeusorge iß eine werdende Welk, denn es isi alles primikiv in Neusorge;
es will von der alken Welk nichks wissen. Ich als Hisioriker, als Liebhaber
alker Geschichke und alker Kunsi könnte mich hier gar nichk halken, wenn nichk
in mir die Wunder jener hochzeiklichen Skube und jenes glückseligen Wall-
sahrksbildes lebendig geblieben wären. llnker den alken Bauernhäusern (es

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