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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 8 (Maiheft 1927)
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Michel, Wilhelm: Die Illusion des Selbstgenügens: eine Rede über menschliche Beziehungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0106

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die wesenEchen ZeiLdrnge einsirömen konnLen. Kam uns von ungesähr noch
eine neuc lyrische 2lnthologie zur Hand, so merkken wir zu unserem eigenen Er-
slaunen, daß uns dieses snbjekLivisiische Harsenschlagen nichLs mehr anging.
Diese GedichLe lasen sich wie ein Fahrplan vom vorigen Iahr. Die Klage
unsrer Ingendzeik haLke, in den WorLen von Hosmannskhal, gelaukek:

Ich hab mich so an Künstliches verloren,

Daß ich die Sonne sah ans Loken 2lugen
Und nichk mehr hörke, als aus LoLen Ohren.

Das Gedichk war alles; das Leben stand sern. lbkun aber ging, was wir dem
GedichL gegenüber empfanden, mehr aus dem Ton der Vorwürfe, die Skefan
Georges König an den „Harfncr" richkek:

Dir dienen Fieberqualen meiner Nächke,
llm sie in Ton und Lispeln zu verwehn.

Mein heilig Sinnen, drob ich mich verzehre,

Zerschellst du in der Luft zu bunken Blasen,
llnd schmilzest mein erhabnes Königsleid
In eiklen Klang dnrch dein verworscn Spiel.

Wie sich im geselligen Bereich diese kalke Lusk zwischen die Menschen gedrängk
hak, wie es nicht mehr vom Herzcn und zum Herzen gehk, wie jeder sich selbst
gcnügt und seine Seele nichk mehr hinausgibk und von fremder Seele nichks
mehr wissen mag — so ist auch die Lyrik, diese Außerung des einmaligen und
unmikkelbaren Menschen, die übcrhauyt nur von FreundschasL lebk, so guk wie
verstummk. Und dics so, daß erstens Lyrisches nicht mehr gehörk wird und daß
zweikens der lyrische Mensch selbcr seine llnangemessenheiL, seine llnzuläng-
lichkeik vor den Zeikdingen empsindek. Er muß bei sich selber zweifeln, ob die
direkke, subjekLivistische Lebensaussage ekwas sei, um das es sich heuke noch
handeln könne.

Ähnliches hak sich in bezug aus das Kunstgewerbe ereignet. Die lächelnde
Ablehnung, mik der das WorL „Kunstgewerbe" schon seik langem ausgesprochen
wird, hak sich in den letzken Iahren zu einer ernsten und kalken 2lbsage an die
kunstgewerbliche Prägungsweise überhaupk verschärsk. Wir sehen sie behaskek
mi'L allen Skigmen der subjekki'vistischen und unzulänglichen, der bloß „ge-
wollken" und nichk nakurhast gemußken Dinge. Ein Fisch, auf Lrockenen Sand
gesehk, ein künstliches Gemächke, eine salsche Idylle, eine engbrüstige, feige
Harmonie, ein sich Hernmdrücken um jedes eigenkliche Problem — das ekwa
gibk die BeleuchLung an, in der wir das Kunstgewerbliche heuke sehen. Und wie
in der Dichkung das Lyrische samk dem Psychologißischen zurückwich vor dem
Dokumenkarischen und der dinglich gegebenen Schilderung, so weichk die alke
kunstgewerbliche Prägung vor der industriellen und Lechm'schen Prägung zurück.
Die kechnische Form erscheink uns als die geseHliche und objekkive Form gegenüber
dem Kunstgewerbe als einer senkimenkalen, subjekkivistischen GestalLungsweisc.
Die Lechnischc Form enksyrichk — oder scheink zu enksyrechen — jener gehei-
men Tendenz, die sich gegenwärkig auf allen, auch den gcistigen Gebieken zur
GelLung bringk und die vom Subjektiven, Rebellischen, Privaken sort- und dem
Objekkiven und Gesetzlichen zuführk.

Ilnkcr derselben llngunst des 2lugenblicks leiden auch die übrigen Kunstbekäki-
gungcn, weil sie und soweit sie an die SubjekLivitäL des Künsllers gebun-
 
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