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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1927)
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Specht, J. G.: Vom schaffenden Kinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0180

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Erbstück sür die Nachfahren ist. Ieder emzelne muß wieder selber hindnrch, nnd
wtr müssen unsere Kinder in unsere eigenen früheren Torheiten verstrickt sehen und
können ihnen nicht dienen, nicht heifen.

Aber unsere Liebe bangt doch zu sehr um sie und zwingt uns zu immer neuen Versu°
chen. Kurzerhand suchen wir fchließlich selbst der Jugend die auf sie einstürmenden Pro-
bleme zu lösen, ihr die Konflikte aus dem Wege zu räumen und sie selbst zu beeinflussen,
die selbst erleben, selbst schaffend das Leben durchkosten will und — m u ß.

Da liegt die ganze Tragik unserer Erziehertätigkeit.

Daß jede verneinende Kritik, jede bloß verwalterische Maßnahme im lehten Grunde
einer Bankrotterklärung des Erziehenden gleichkommt, das mögen wir uns wohl
noch gestehen; aber nnsere Liebe, mag sie heiß sein bis zu himmelhoher Angst^
ist nicht selbstlos, nicht bedingnngslos genug, um in siebenmal siebzigmaler Geduld
stille zu sein und dennoch nicht zu verzagen.

Erziehertätigkeit müßte dem Walten eines göttlichen Wesens ähnlich sein: verborgen
unddennoch seiend und segnend, und das bedelltetvorallem:auswirkenlassen;denschöpfe-
rischen und aufbauenden Kräften im Jugendlichen vertrauend, ihnen zu vollster Entfal-
tung Raum geben, so daß Triebleben und Begehrnngen durch sie überwnchert werden
und glückhaftes Selbstvertrauen den Jugendlichen zu innerer Freiheit führen kann.

Schon der Spieltrieb im Kinde ist Schöpferkraft und Wille zur Menschgestaltung,
und damit weist er den Erzieher auf seine Aufgabe hin: nicht raten wollen, sondern
mit der Jugend beratschlagen, nicht Fragen beantworten, sondern sie mit ihr erörtern,
nicht Konflikte lösen, sondern Siegesfreude teilen oder die Niederlage gemeinsam
tragen. DaS geschieht aus sich immer gleichbleibender Liebe, die ailes glaubt, die
alles hofft.

Auch die Scharrelmannsche Gemeinschaftsschule (eine der drei Bezirksvolksschulen in
Bremen, die von den Behörden als Versuchsschulen bezeichnet werden) bekennt sich
durch den Grundsatz vom zwanglosen Unterricht zu jenen Jdeen. Und wenn sie das
Kind die Unterrichtsstosfe erleben lassen will und darum dem Stoff an sich nur unter-
geordnete Bedeutung beimißt, wenn sie auf Bejahung der Eigenart des Kindes dringt,
so entspringen diese positiven Bestrebungen eben darauS, daß jede „Beeinflussung"
abgelehnt wird.

Freilich kann man unsere Bemühungen nur bescheiden rm't dem Ausdrucke „Ver-
suche" bezeichnen. Allein schon deshalb, weil wir selbst noch viel zu sehr mit dem
Uberkommenen, mit dem Angelernten belastet und dadurch im Denken und Fühlen
beengt sind. Aber hier und da lacht einem doch ein Silberblick entgegen. Dann steht
man verwundert da, was doch in den kleinen Menschenkindern ungeahnt an Kraft
und Schönheitssinn verborgen lebt, und man ist befchämt ob seines mangelhaften
Vertrauens zu den Kindern und seines geringen Mutes, sich zu überwinden, im Kinde
den schasfenden, schöpferischen Menschen aufzurufen und in aller Form zu bejahen.
sfe länger ich im Berufe stehe, desto mehr drängt sich mir das bestimmte Gefühl auf,
daß nicht die vielgepriesene Wissenschaftlichkeit als vielmehr die Unbekümmertheit,
Naivität und Jntuition künstlerifcher Naturen der Volksfchule not tun.

Da setzte nnch wieder einmal ein Kind in Verlegenheit und streckte mir einen uralten
Tuschkasten mit flehender Miene entgegen: „Darf ich tuschen?"

Vom Zeichemmterricht verstehe ich so gut wie nichts. Mir war also die Sache höchst
unbequem. Fast hätte ich abgelehnt- Aber die Erinnerung an die unanssprechlich
selige Freude, die ich selbst einst an Tuschkasten und Farbe hatte, stimmte mich um.
Jch nickte bejahend. >

Aber nun kam Schulmeisters Not. Welche Rolle sollte ich spielen, der ich aller
Technik, aller Methodik eines Zünftigcn bar war? Hatte ich mir anfangs noch vor-
genommen, mit den Kindern im Malen zu wetteifern, so fuhr mir ein freudiger,
 
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