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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1927)
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Specht, J. G.: Vom schaffenden Kinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0182

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Aus bösem Gewissen, nnd weil mir das GeschichLenerfinden selbst Spaß macht,
schrieb ich im Hanse von Klans ein Kapitel nach dem andern nnd laö sie in der
Schnle vor. Die Klasse hatte wohl Gesallen an dem Vorgelesenen, aber niemand
rührte auch nur die Hand, eine Geschichte zu schreiben. Hatte ich damit die Kinder
des einen Ausdrucksmittels, des Schreibens, beraubt, so ließ sie ihr Tatendrang zu
einem andern, dem Malen, greisen. Sie illustrierten den Holschenkoptein. Aus diese
Weise entstand ein hübsches Bilderbuch von der Hand neun- und zehnjähriger Kinder.

*

Jn der Folgezeit ließ ichs an Anrsgung nicht sehlen, stellte die Kinder vor ernst-
haste Probleme und ermöglichte ihnen öurch lebhaste Darstellung der blnterrichts-
stosse das Miterleben.

Sobald nun ihre Phantasie rege geworden ist, packen sie jede Gelegenheit beim
Schopse. Mag der Stoss geschichtlicher, erdkundlicher oder naturgeschichtlicher Art
sein, mag ein Lied eingeübt, ein Gedicht oder eine Geschichte gelesen werden, mag
Weihnachten oder Jahrmarkt sein: was die Sinne gleichsam gegenständlich ausge-
nommen, gibt die Hand in Farbe wieder.

Außer jener Aufgabe, die ich selbst erkannte, wiesen mir die Kinder noch eine andere
zu. Sie zeigten mir ihre Bilder und drängten aus mein blrteil.

So wenig sie zurückschreckten, die Nachtstimmung in Klaus Groths „Hör m'in Hanne"
in Farbe wiederzugeben, kamen sie doch nach mutig vollbrachter Tat nrit sehr kriti-
scher Einstellung zu mir.

Jch hütete mich wohl, verneinende Kritik zn üben, sreute mich vielmehr an dem, was
in einem Bilde gelungen war, hob besonders hervor, wenn irgendeine Gruppe ge-
schickt iu den Raum gesetzt war. Sosort sahen dann die Kinder selbst, was weniger
gelungen, oder wo im Bilde eine Leere gähnte.

Überhaupt kritisierte ein jedes die eigne Zeichnung rücksichtslos und tresslich sein.
Dabei — was mich besonders angenehm berührte — zollten sie einander Anerken-
nung und übten wohltuende Kritik, die stets ihre positive Seite im Helsen sand.
Sie sanden sehr bald heraus, jedes Kind habe seine eigne Art, zu malen. Sie über-
raschten mich geradezu durch ein seines Empsinden und Jnnigkeit, gepaart mit einem
bescheidenen Denken vom eignen Können.

Gelegcntlich einer Unterredung prüste ich die Urteilssähigkeit der Kinder ihrem Leh -
rer gegenüber nnd stellte die Frage, wle sie sichs erklärten, daß sie, die doch so
munter malten, so wenig im Geschichtenschreiben vorankämen. Uberraschend bekam
ich die tressende Antwprt: „Das kommt wohl daher, wsil Sie selbst Geschichten
schreiben. Nun sind Jhnen unsere nicht gut genug."

Ein Dankesgesühl bemächtigte sich meiner, als ich täglich spürte, wle die Betätigung
mit Farbe und Pinsel die Kinder immer mehr verinnerlichte, die lebhastesten stille
machte, die zerstreutesten alles um sich her vergessen ließ. Sie wurden fragende,
sorschende Kinder; aus ihnen wurde Können nnd Wollen hervorgelockt, und wiederum
erheischte diese Arbeit, die mit allem Ernst getrieben wurde, nach Wissen und Kennt-
nissen zu verlangen, kurz, die Kinder biIdeten sich s e l b st.

Mir ists wahrlich auch nicht darum zu tun, meiner Klasse Zeichenfertigkeit oder irgend-
welche nackten Wissensstosse zu vermitteln. Dem inneren Menschen znr Gestaltnng
zu verhelfen, dazu, meine ich, soll alles dienen. Die Ausgabe der Volksschule muß
tiefer gefaßt werden, als etwa: brave Staatsbürger und tüchtige Geldverdiener
heranzuzüchten. So ist dieser Malunterricht kein Zeichenunterricht im alten Sinne.
Er ist eingefügt in ein großes Ganzes, eine Welle im großen Strome der Mensch-
bildung. Darum mag eS auch geschehen, daß wir dnrch das Malen auf eine Frage
stoßen, die uns in ein ganz fremdes Sachgebiet verschlägt und unsere Aufmcrksamkeit
so sehr in Anspruch nimmt, daß wir Pinsel nnd Papier beiseite legen und uns wo-

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