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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0201

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einmal zuerst gegen Roethe als Gelehrten, sondern gegen den akademischen Lehrer,
der vergißt, daß er nlcht nur Privatdozenten heranzubllden hat? Jhre Berkoppelung
von Roethe und Wlssenschaft ist der erste Elnwand, den ich Jhnen zu machen habe.
fgndem Sie Jhren Angrisf auf die Wissenfchaft gegen Roethe ansetzten, haben Sie
eS sich zu leicht gemacht. Sie hätten einen stärkeren Gegner wählen müssen und hätten
>hn auch flnden können.

Daß Sie gegen Roethe wegen seiner Außerung einen zehnjährigen Groll trngen,
bis er sich in diesem Briefe entladen konnte, ist verständlich, und es ist wohl auch kein
Zufall, daß es gerade in Maulbronn, „diesem unsäglich süßen Flecken", war, wo
sich Jhr Groll und Jhre Zunge lösten. Schließlich sind Sie ja auch Dichter. Sie
haben auch als Dichter über die Wissenfchaft geschrieben und Sie nehmen das Recht,
dies zn tun, als selbstverständlich in Anspruch. Jst aber die Weltansicht des Dichters
nicht auch eine spezialisierte? Natürlich sind Sie davon überzeugt, daß es sich
hier um „etwaS ganz auderes" handelt, doch weiß ich nicht, ob Sie mehr als die vox
populi dafür anführen können. Jst nur das Spezialisierung, daß man sich auf seinem
Gebiete ummauert und sich nicht um das kümmert, was jenseits der gesteckten Grenzen
liegt, oder ist es nicht auch eine Spezialisierung, die mitunter zu erheblichen Ber-
zeichnungen führt, wenn man von seinem süßen Winkel auS die ganze Welt beurteilt?
Jst es nicht allein die Bielheit der Gesichtspunkte, die einen vor der Gefahr der
Spezialisierung bewahrt? Jedenfalls reden Sie von der Wissenschaft wie ein Blin-
der, wohl kaum anders, als Roethe von dem sprach, was Sie von ihm erwartet
haben mögen. Wenn man ringS um sich nur Spezialisierungen sieht, so ist das noch
kein genügender Beweis für die eigene Universalität. Man kommt leicht in eine
fatale Situation, wenn man seine allgemeinen Erkenntnisse nicht bloß auf die ande-
ren, sondern auch auf sich selber angewendet sieht.

j)hr Haupteinwand gegen die Wissenschaft ist derselbe, der auch von der sgugend-
bewegung immer wieder zu hören war, daß Sie aus den Vorlesungen Roethes
nichts heimbrachten, daß Sie in diesem Gaurisankar von Kenntnissen nichts „We-
sentliches für das tiefe Anschauen der Welt" fanden. Sie fragen sich nicht, wer
Jhnen das Recht gab, das von den Borlesungen Roethes zu erwarten, sondern Sie
verallgemeinern Jhre Enttäufchung dahin, daß „die Wissenschaft" nur Kenntnisse,
nicht Erkenntnis, nur Wissen, nicht Weisheit bietet. Sie wollen den Zweck ohne
das Mittel, das Ziel ohne den Weg. Jhr Eindruck von der Wissenschaft ist der,
„daß eine blnzahl würdiger Männer mit Aufbietung aller Kräfte ihr ganzes Leben
lang Haare spaltet, Kartenhäuser errichtet, vierzehnstellige Zahlen miteinander multi-
pliziert, Meeressand zählt und ,Resultate auf Resultate' häuft, Kenntnisse zu Bergen
aufschichtet, Wissen zu erfassen glaubt und doch nur wie von einem bösen Geist im
Kreise herumgeführt wird, während ringsumher fchöne grüne Weide liegt". „Zwan-
zigstes Jahrhundert", rufen Sie aus, „siehe, das ist deine Wissenschaft!" Aber heißt
das nun nicht in allzu grober Weise den Teil für das Ganze zu nehmen, das Kleine
ohne seinen Hintergrund als Selbstzweck zu sehen, also gerade das zu tun, was Sie
den würdigen Männern vorwerfen?

Was führen Sie an, um Jhren „Eindruck" zu rechtfertigen? Daß Roethe in seiner
Borlesung über daS Hildebrandslied nur bis zum 27. Vers kam und in seiner Goethe-
Vorlesung nur bis zum Eintreffen in Weimar, ferner nennen Sie einige Preisauf-
gaben der Berliner blniversität und Themen von Akademiesitzungen. Auch wenn
diese Beispiele verdoppelt und verdreifacht würden, könnten sie als Beweise nicht
genügen, denn es fehlt ihnen gerade das, was zu beweisen war, daß diese Arbeiten,
Selbstzweck sind. Sie sind gerade nicht Selbstzweck, dagegen fordern Sie eine
Selbstzweck-Wissenfchaft, wenn Sie von jeder Arbeit unmittelbar „sinnvolle
und erspri'eßliche Resnltate" verlangen. Diese Forderung, die Sie so selbstverständlich
an die Wissenschaft stellen, ist offenbar ebenso unbillig wie die Forderung, daß jede
 
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