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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0207

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Verantwvrtung für einen ihm anvertrauten Lebensbereich, auf den er zwar zu wirken,
>n den er aber nicht einzugreifen hat, weder machtwillig noch erotisch.

Wenn nicht Eros und nicht geistiger Machttrieb die Prinzipien der Erziehung sind,
welches Element konstituiert denn nun wahrhaft das erzieherifche Derhältnis?
Antwort: Das Element der Umfassung, gegrünöet auf dcr Er-
fahrung der Gegenseite. Diese Erfahrung macht daS Berhältnis zwischen
zwei Menfchen zu einem dialogischen.

Kraft der Erfahrung dieser Gegenseitigkeit vollzieht sich auch in dem vom Macht-
trieb oder vom EroS Ergriffenen eine Umkehr dieser Triebe: es findet eine Dialo-
gisierung der von diesen Trieben bestimmten Verhältnisse statt, der Trieb geht
in die V e r b n n d e n h e i t mit dem Mitmenschen und in die Verantwortnng
für ihn als für einen Zugeteilten und Anvertrauten ein. Die Mächtigkeit, die umfaßt,
ist nunmehr Führung, der Eros, der umfaßt, ist nunmehr echte Liebe.

Das erzieherische Derhältnis ist also ein rein dialogisches, ist Gegenseitigkeit, Gegen-
wärtigkeit des Einen für den Andern. Aber es ist für das erzieherifche Verhältnis
charakteristisch, daß nicht auch die Umfassung gegenseitig ist — wie etwa bei
der Freundschaft — sondern: nur der Erzieher umfaßt, nicht aber der
Zögling. Wie ist dies zu verstehen?

Erziehung bedeutet, wie dargelegt wurde, „eine Auslese der Welt durch das Medium
einer Person auf eine andere Person einwirken lassen". So ist die Person, die dieS
durch sich geschehen macht — der Erzieher —, gehalten, die Auölese und Einwirkung
nicht von sich aus und nicht von seinem Begriff des Zöglings auS, sondern von dessen
Wirklichkeit aus zu vollziehen. Er muß sein Tun, das Erziehen, immer wieder von
der Gegenseite erfahren, von der ganz konkreten Gegenseite dieseS einzelnen und ein-
zigen Wesens, das zusammen mit ihm in der gemeinsamen Situation des „Erziehens"
und „Erzogenwerdens" lcbt. Er, der Erzieher, also muß das Erzogenwerden des
Zöglings erfahren, der Zögling aber kann das Erziehen des ErzieherS nicht erfahren.
„Oer Erzicher steht an beiden Enden der gemeinsamen Situation, der Zögling nur an
einem." f)n dem Augenblick, wo auch der Zögling sich hinüberzuwerfen nnd von
drüben zu erleben vermöchte, würde das erzieherische Verhälkm'S zersprengt oder eS
wandelte sich zur Freundschaft.

Dies also ist die Situation des Erziehers: in der eristenziellen Umfassung des Zöglings
gewahr werden und erkennen, was dieser Menfch braucht, damik er werde; aus der
Verantwortung für diesen ihm zugeteilten und anvertrauten Lebensbereich aber die
Kräfte der Welt, die der Zögling zum Aufbau seineS Wesens braucht, aus der Welt
lesen und in sich ziehen.

„Der Erzieher sammelt die aufbauenden Kräfte der Welt ein. Jn sich selber, in seinem
welterfülltcn Selbst schei'det er, lehnt ab und bestätigt. Die aufbauenden Kräfte —
es sind ewig die gleichen, es ist die Welt in der Derbundenheit, die Gott zugewandte.
„Der Erzteher sammelt die aufbauenden Kräfte der Welt ein. Jn sich selber, in seincm

*

Mit diesem Prinzip der Erziehung ist aber nur der Anfang ihrer Wirklichkeit
gegeben. Es bleibt die entscheidende Frage zu beantworten: Was ist Norm und
feste Maxime der Erziehung?

Jn einem sprachgewaltigen Schlußwort gibt Martin Buber die Antwort: „Eine
Norm und eine feste Marime der Erziehung gibt es nicht und hat es nie gcgeben:
Was man so nennt, war stets nur die Norm riner Kultur, einer Gefellschaft, einer
Kirche, eineS Zeitalters, der, wie alle gebundene Regung und Handlung des Geistes,
anch die Erziehung hörig war und die sie in ihre Sprache übertrug. f^m geformten
Aeon gibt es in Wahrheit keine Eigcngesetzlichkeit (wenn auch zuweilen einen Eigen-
bau) der Erziehung; nur in dem sich entformenden." Jn dem sich entformenden Aeon
aber verkennt die immer wieder vorgebrachte Frage „wohin, auf waö soll erzogen

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