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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1927)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Der Widerspruch zwischen Geist und Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0249

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abgesiürzk auf unsicheren, weicheuden Grund, fühlen wir das Gefchehen in
uns flocken, fühlen wir uns um OrL und Richlung gebrachl. Die Unschuld
des Tuns fchwindek, die klare Richknng auf das ObjeLk ifl aufgehoben, unsere
Kräfle verflricken sich in sich selbfl; wir beginnen uns zu fühlen, aber wir
fühlen nichl mehr Orl, Zeil und Ding. Wir verfallen einer augenblicklichen
Lähmung, in der wir unfähig werden, frei aus uns heraus zu wirken, weil wir
uns unvermulel in einem bösen, inneren LabyrinLh gefangen haben. Erleb-
nisse solcher 2lrL sind es, die nun weiLer in die Tiefe deuken, bis auf einen
Grund, auf dem man BewußLsein und Leben hosfnungslos enLzweiL siehk, nur
noch durch einen AffekL flärkflen, wechselseiLigen Hasfes aufeinander bezogen.
Es könnLe erlaubL fcheinen, eine solche Schau aus persönlicher PaLhologie des
Menfchen, dem sie sich aufLuL, zu erklären. So verfährk in der Tak Graf
Keyserling gegenüber Ludwig Klages, wenn er (in seinem neueflen
Buche „WiedergeburL", bei OLLo Reichl, DarmfladL) dessen erbiLLerke Parkei-
nahme gegen den Geifl, bei aller Anerkennung der Liefen und mächkigen Per-
sönlichkeiL des Angegrisfenen, auf grundlegende Mängel seiner individuellcn
Skrukkur zurückführk. Mir fcheinL hier aber in BeLrachk zu kommen, daß
durch die ganze MenfchheiLsgefchichLe breike Skrömnngen gehen, für die
dcr unversöhnliche WiderftreiL zwifchen Geift und Leben Ausgangspunkk und
fteks wiederholkes Erleben ifl. Dazu zählk alle Gnosis. Sie fchlägt sich zwar
nichL mik Klages auf die SeiLe des Lebens, sondern des Geifles, aber den
WiderflreiL zwifchen beiden setzk sie miL der äußerflen Schärfe; und wenn
sie niemals ihren Frieden mil der wirklichen WelL hak machen können, so war
es deshalb, weil sie dem Demiurgen die für alles Menfchendasein so skanda-
lös Lypifche Vermengung des Geiftes mik Sloff-IIaLur-Leben niemals verzeihen
konnLe. Jch glaube auch meinerseiLs, daß in der echken Gnosis (die von Mani,
BalenLinus und KarpokraLes bis in unsere Tage hereinreichk) eine Liefe Ver-
kehrung, also eine yakhologifche Lage gegeben ifl. 2lber diese enkquillL nichL
einem persönlichen, vereinzelken Mangel, sondern einer grundlegenden, HSchfl
allgemeinen PaLhologie der MenfchheiL, und zweikens ifl an ihr nichk das-
jenige paLhologifch, was Keyserling meinL, nämlich die Auffassung des Geifles
als eines Gegenspielers des Lebens, sondern ekwas anderes, das zum Schlusse
berührL werdcn soll. Wer jemals unkcr der verheerenden Einwirkung des
bösen Blickes jencr BewußLhei'L fland, wird sich m'chk abflrei'Len lassen, daß
Bewußksein das Leben aufeindek und cs zu lähmen suchL. Es gibk eine äußerfte
Schärfung des IchbewußLseins, die lebensgefährlich ifl. Es gibL ein Er-
wachen des „Geifles" in uns, das den Akem flocken und das Hirn kreisen läßk,
das uns geradeswegs zu leben verbiekek. Häkke wohl Buddha dcn unge-
heurcn Gedanken fasscn könncn, das Lebeu der WelL zum Erlöfchcn zu bringen,
wenn er nichk erkannk häkke, wclch ein sichcr wirkendes Wcrkzeug dafür dic
Überführung des Lebens in Bewußksein ifl? Klages hak ekwas Wirkliches
gesehen, wenn er den Geifl als ein Prinzip des Todcs bezeichnek. Mindeflens
in der FunkLion der „Bewußkheik" kann der Geift als Mörder wirkeu, als
Einbruchsflelle der Nüchk und des Nichks in das meufchliche Dasein. Was
beweifl die neue psychifche Heilkunde anderes, wenn sie yarasiti'fches Leben,
nämlich Sympkome, durch BewußLmachung LöteL? llnd auf derselbeu Linie
liegk der weltbekannLe Widerflreik zwifchen Betrachkung uud Produkkion,

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