Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1927)
DOI Artikel:
Fischer, Eugen Kurt: Drama und Bühne
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0272

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Likcrarhistoriker und der Krikiker haben durch Generakionen hindurch

den Irrtum verstärkk, als ob das Buchdrama wichkiger sei als die lebendige

AkLion auf der Bühne. Die Folgen waren schwerwiegend genug: Der

Dichker legke immer mehr Gewichk aus dcn rein geistigen Gehalk
und immer weniger aus den Handlungsgehalk seiner Skücke, der

Regisseur und der Schauspieler aus die Wiedergabe psychologischer Fein-
heiken und dialogisierker Welkanschauungskhesen, und das Publikum ließ sich
durch eben jene „Sachverständigen" und Schrifkgelehrken in die Geheimnisse
des Dramas einsühren. Es mühke sich sask ausschließlich um das Verständ -
nis und fast gar nichk um das Erlebnis der dramakischen Dichkung.
Weniger Ausdauernde blieben dem Theaker schließlich sern, nnd für die
Rkichk-Jnkellckkuellen erstand zur rechken Zeik das Kino, das jenen Teil der
Schauspielkunst zu neuer, sreilich in seinen Formen osk bedenklicher Enk-
salkung brachke, den innerhalb des Sprechkhcakers nur noch die Schwank-
bühne zu seinern Rechk kommen ließ: die Mimik.

Der Naturalismus führke ebcnfalls zu ihr zurück, aber er verringerke den
Abstand zwischen der Geske der Allkagswirklichkeik und der der Bühnenwirk-
lichkeik auf cin solchcs Mindestmaß, daß der Jrrkum sich verbreiten konnte,
die von Lessing proklamierke „Einheik" von Kunsl und Nakur sci gleich-
bedeukend mik Jdcnkikäk. Der Phankasie-Ankeil, des echten Mimen
köstlichster Besitz, verkümmerke und wurde durch gesteigerke und — bei großen
Künstlern — zugleich verkieske Beobachkung der W irklichkeiL ersehk.
Das Spiel schwand vom Theaker und damik das Besreiende des wahren
Dranias. Die Kakharsis blieb aus. Da kam der Rückschlag: Rkeuromantik,
Svmbolisnms, Expressionismus mühken sich um die Rkeubelebung der Bühnc
durch Wiedererweckung der Phankasie als ciner Wundermachk der Lebens-
steigcrung durch Traum, Sinngebung nnd ekstakische Verwandlung. Der
Mißerfolg war all diesen Bemühungen sicher: sie eroberken die Farbe, das
Lichk, den Raum, die Bewegung dem Theaker zurück, nichk aber das
Wichtigste: den Spieler. Dieser Lrug, vom Dichker vergewalkigk, ein ganz un-
mögliches Gerüst mik sich herum, war eingespannk in cinen überkomplizierken
Bühnenapparak und Sklave der selbstherrlichen Regie. Der Zuschaucr sah
sich vieldeukigen Symbolcn gegenüber, hörke Worte, deren kieseren, vom
Dichker gemeinken Sinn er nichk verstand, und begann zu deukcn, wo cinzig
inniges Nncherleben nokkat.

Als alles nichks hals, steigerke man die szenischenMitkel und dieDressur derMi-
men, die zu wandelnden Plastiken wurden und der Monumenkalikäk ihrer vom
Negisseur genau sestgelegken Gestik eine künstliche Dynamik des Vorkrages ge-
selltcn, die in ihrer GewalLsamkeik kaum weniger vcrlogen war, als das Possart-
Pathos, dem jedoch wesentlich mehr Wirkungskrafk beschicden war als jener.
Auch diese Periode gewalksamer Experimenke ist vorüber und ebenso die der
Wiederaunäherung an die „Rrakur" im Drama barbarischer und kierischer
Maß- uud ZügellosigkeiL. cklnd weshalb überwunden? Weil alles, was dork
oben auf den Brekkern geschrien, gegröhlk, geröchelk, gestampfk, gemordek
und vergewalkigt wurde, den Zuschauern die Zaubersormel schuldig blicb,
die erst zur Einhcik von Bühne und Publikum führk, die Zauberformel:
„Das bist du."

2ZZ
 
Annotationen