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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0374

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Unter geftelltem oder unnatürlichem Bilö begreifen tvir eine Gattung, die schon
dicht an die Grenze des Komischen reichr. Es sind Aufnahmen von nackten Kör-
pern in allen erdenklichen, meist aber höchst ergnälten Stellungen. AKan kommt
dabei nie von der Vorstellung loö, daß dies alles eine aä koa vor dem Stativ er-
zeugte Sehnsucht, Ertvartung, Anbetung, Neckerei, Belauschung, Überraschung,
Demut, Verztveiflung, Erwachen, Körperweihe, Zukunftssehnsucht und wie die Bil-
der alle betitelt sein mögen, sei. Diesen vielerlei Märlein Wassers, Waldeö und Ge-
birges, Quellnymphen, Faunen, Rittern, Prinzessinnen, Bogenschützen, Speer-
trägern, Kranzmägdelein und Baumgeistern glaubt man nur schwer. Um so schwe-
rer, wenn es sich allzu deutlich nur um ausgezogene Kontorfräulein handelt und um
die mit den auch hier unvermeidlichen Zupfinstrumenten versehenen Adepten einer
sehr mißverstandenen freideutschen Gesinnung. Dder wenn die Art zu sitzen und zu
liegen, etwa mit dem nackten Popo auf rissigen Baumstämmen, schrundigen Felsen,
auf EiS und Schnee dem Menschenkörper und Menschenbrauch allzu wenig ent-
sprechen will. Kein Tier begibt sich ohne Not in Situationen, denen sein Fell unö
seine Haut auf die Dauer nicht gewachsen sein können. Der neue Arkadier tut es
zur Erzielung jener Bilder, die wir in unserer zweiten Gattung als unnatürliche be-
greifen.

DaS läppische Bild ist schon jenseits der Grenzen des Komischen. Es ist nur mehr
abgeschmackt. Hier ist die Beziehung zwischen der Nacktheit der Körper und der
Situation, in die man sie zwecks Erzielung immer neuer Illberraschungen zwingt, nur
noch für die Albernheit vorstellbar. Zwei nackte Weiber etwa gehen mit Stoß-
degen aufeinander los; eine andere zündet einen Christbaum an; eine dritte liegt
vor einer Art von Altar in eine Art von Gebet versunken; oder ein Adam sitzt
klampfend auf einer Holzbank, seine Eva träumt unter dem Adventskranz, während
im Hintergrund gut bürgerliche Gardinen und ein Thermometer erblickt werden
müssen. Oder es liegt, unter „Samariterinnen", ein nackter Knabe sehr ungeschickt
auf einen Balken drapiert im Hofe einer Burgruine, während zwei Nymphen ihn
auü einer Tasse stärken. Oder, unter „Gute Nachricht" sitzt ein hübsches Ding
hüllenlos auf einem Diplomatenschreibtisch von jener berüchtigten Art Massenware
und liest einen Brief, wobei uns weder die Stehlampe noch der Papierkorb vorent-
halten werden. Oder, in einer „Kunstpause" legt, auf einem Diwan sitzend, wie er
den möblierten Zimmern ansteht, eine mit Schleiern andekorierte Schöne die Mando-
line träumend aus den Händen usw. Hierhin gehört auch das alberne Posieren mit
kleinen Kindern und jungen Hunden, während die Katze und die Schlange vorzüg-
lich unserer letzken Gattung, dem Salonakt, vorbehalten scheinen.

Unter dieser begreifen wir die Fabrikate der Gelegenheitsmacher und Geschäftemacher
aller Schattierungen. Hier sind die Gesichter und Körper verschminkt und retuschiert,
die Pose von vornherein verlogen oder schwül oder in der eindeutigsten Weise ver-
heißllngsvoll. Man bemerkt eine Dorliebe für gewagte Halbkleidung: Schleier,
Kopfputze, Höslein, Seidenstrümpfe, Perlenketten, Pelze, Federn; als Kulissen wer-
den Sofas aller Formen, Kissenhügel und schwellenöe Teppiche bevorzugt; zuweilen
auch Kurtisanenspiegel, Spanische Wände und allerlei Gitterwerk. Vom Hantieren
mit Katzen, Schlangen und verwandter Kreatur sprachen wir schon; als sernere Re-
quisiten nennen wir allerlei Flaschen und Dasen, Pokale, Kerzen, Peitschen, Halb-
larven, Fesseln, Vorlegeschlösser, mit denen auf eine bedauerlich geschmacklose und
einfallsarme Weise gestikuliert wird. Einem Herrn Schertl war es vorbehalten,
die Haltung des sterbenden CruzifixuS zum Motiv einer weiblichen Aktaufnahme zn

erkiesen. Er nennt sein Bild „Am Marterpfahl".

-I-

Zusammenfassend ist festzustellen: der verlogene und alberne Tert, das verlogene und
alberne Bild überwiegen in der Literatur des Neuen Arkadien >n der trostlosesten
 
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