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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0376

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Jnteressen. Sie zielt praktlsch auf Der-
dichtung des physischen Lebens, geistig
auf tiefere Einsicht in Grundlagen und
Zusammenhänge des Lebens. So schieben
sich auf der einen Seite Hygiene und
Freude am eigenen Auto, auf der an-
dern Seite Ausdrucksforschung, Charak-
terforschung und eine nach allen Rich-
tungen ausgreifende Lebenskunde in öen
Vordergrund. Und es ist besfer, diese
Lage entschlossen zu durchleben, als an
einigen ihrer Erscheinungen zu quack-
salbern. Denn je bestimmter eine solche
geistige Gesamtlage sich ausprägt, um
so sicherer führt sie an das Neue heran.
Konnte Murger in seinem beruhmten
Buche noch einen vermögenden jugend-
lichen Snob vorführen, der durchaus den
Lebensstil der Künstlerbohöme mitmachen
wollte, so liegen die Dinge heute völlig
umgekehrt: nicht mehr suchen die Rei-
chen den Stil der armen Künstler, son-
dern die Künstler suchen den Stil der
Reichen zu imitieren; und in solch einer
Deränderung liegen für den, der Zeichen
und Gesten lesen kann, sehr weitreichende
Aufschlüsse. Die Kunst gehört zu den
ewigen Dingen der Menschheit; eben
deshalb muß ihr Zeitkurs wechseln, weil
Zeiten, Menschen und Zustände sich be -
w e g e n.

Für die provinziellen Ausstellungen er-
gibt sich aber doch aus dieser der Kunst
ungünstigen Zeitlage eine bestimmte Auf-
gabe. Nämlich die, in das vorhandene
Kunstgut mit kräftig organisierenden
Ausstellungs gedanken hincinzugreifen,
größere geistige Energie an begrenztere
Aufgaben zu wenden. Daß man die
beiden fremden Sezessionen nach Darm-
stadt lud, war kein Ausstellungsgedanke
solcher Art. Jeder Sachkundige mußte
wissen, daß das nichts Halbes und nichts
GanzeS werden konnte. Unter den Ber-
linern wie unter den Münchnern fehlen
viele Namen von Führenden; es ergibt
sich bei beiden Gruppen nicht nur ein
flaues, sondern auch ein irreführendes
Gesamtbild. Bei den Münchnern ist man
im übrigen dankbar für Götts Köpfe
und Akte, für ein Kinderbild von Carla
Pohle, charakteristisch durch eine dichte,
strähnige Farbmaterie; für eine geist-
reiche Landschaft von Schülein, für
einige feine, paradoxe Farbreize bei Ma-
ria C a s p a r - F i l s e r. Unter den Ber-
linern (die ganze Säle mit sehr dünner
Ware gefüllt haben) tritt Nowak mit

einem feinen, zärtlichen Kinderstück, Wolf
Röhricht mit einer in der Farbe et-
was an Dlaminck angelehnten Hügel-
landschaft hervor. Die sächsische Grelle
Felirmüllers, die wihige, lockere Feuilleto-
nistik Kohlhoffs und noch so manche
andre Marke — man konstatiert ihr
Vorhandensem und geht vorüber.

Eine Abteilung hessischer Kunst
weicht in der Leistungshöhe nicht wesent-
lich von den beiden auswärtigen Grup-
pen ab. Auf Gottfried Richter (Of-
fenbach), einen homo novus, wird man
aufmerksam auf Grund überraschender
malerischer Qualitäten. Antes, Ha-
bicht, Ali Lichtenstein zeigen er-
freuliche plastische Arbeiten.

Darmstadt wird noch einige Anstrengun-
gen machen müssen, um seine Ausstel-
lungen wieder auf die Höhe zu brin-
gen. Sie genossen zu günstigeren Zeiten
einen gewissen Ruf. Sie find unter den
Erschwerungen des letzken Jahrzehnts zu-
rückgegangen; aber eine vernünftige An-
passung an die veränderten Bedingungen
des Ausstellungswesens hat auch hier
AuSsicht auf Erfolg.

Wilhelm Michel

Dom Geiste jüngster Nlalerei

ie Münchener „Neue Sezession", eine
Hauptvertreterin jüngster Kunst, er-
ließ gelegentlich ihrer Sommerausstel-
lung eine grundsätzliche Erklärung. Jhren
Einspruch gegen die einheimische Rück-
schrittlichkeit habe ich schon berichtet. Das
eigene Streben kennzeichnet die Ver-
einigung also: „Unsere Sonderstellung
im Münchener Kunstleben, die uns
manche Last auflegt und unnötig vielc
Feinde macht, gibt uns die Freiheit,Mün-
chen zu dienen, indem wir versuchen, der
Kunst zu dienen, wie wir sie verstehen...
Bildende Kunst ist jene freie (durch kei-
nen Zwang der Wand, der Architektur
genötigte) Leistung, die ihren Ausdruck
allein in der Auseinandersetzung mit der
Natur sucht und findet, die nicht schön
sein will, sondern wahr, die aus dem
ungeheuern Organismus Natur einen
OrganiSmus Bild zu erzeugen sucht, der
ein Gleichnis des Lebens bedeutet."

Wir haben die Verpflichtung, gegenüber
allem Neuen, das sich entwicklungsmäßig
entfaltet und eine innere Notwendig-
keit spüren läßt, wohlwollend und ver-
stehend zu sein; selbst wenn uns seine

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