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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Zur soziologischen Umwandlung der Familie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0408

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Arbeitswelk auch nichk mehr erfaßt werden; die Bruchstelle zweier Zeitalker
liegk dazwischen. Der religiöse Einfluß der Familie vermag das indivi-
duelle Dasein der Familienglieder vielleichk zu erfassen und zu bil-
den, er vermag gegebenensalls die „Einzelseele" zu reLLen, aber nichL
den der GesellschafL und ihren Dämonen ausgelieferLen WirLschasLs-
menschen, das noLleidende Glied kranker InstiLutionen: den UnLernehmer,
den Techniker, dcn ArbeiLer usw. Denn die ArbeiL, obwohl heuke individuali-
stisch (oder was dasselbe in anderer Form ist: kollektivistisch), ist damit doch
keine individnelle AngelegenheiL geworden; ihre Atomisierung ist nur
KrankheiLssymptom; die Krankheit selbst aber beruht aus gesellschask-
lichem Sündenfall und ihre Heilung ist volkhaftes Tun. Die atomi-
siereude Auflösung der Völker und die Derflechtung der Atome in die Ge-
sellschask machk zwar krast solidarischer Verhastung jedermann in der Gesell-
schafk zum Zudividnum; aber wcder Zndividmim noch Gescllschaft vermögen
sich am eigencn Schopf aus dcm Sumpfe zu ziehcn: die Lösung des Arbeits-
problems versagt sich ihnen, ist weder individualistisch noch kollekLivisti'sch
möglich. RetLung bringt nur der Durchbruch zu einer institutionell-
volkhasten Lösung, die — sei sie auch nur zellenhaft — durch ihre Samen-
krasL die WirLschafLsgesellschasL zum ArbeiLsvolk erhebt. Dazu freilich
bedarf es nach unscrcr Überzeugung der religiösen Heilkräfte, nämlich des
Glaubens, dcm Macht gegeben ist, das Jrdische zu erneuern. Aber dessen
AnsaHstellc ist nicht die Familie, sondern die Gesellschafk, und seine Wirkfor-
men müssen aus den ReöLen der GesellschafL ursprünglich hervorgebildet wer-
den. Denn nicht den ArbeiLer als Einzelnen oder als KollekLivwesen, sondern
als notleidendcs Glied dcr sozialen Welt, vor allcm dcr kranken ArbeiLswelk
hat dieses Wirken zu erfassen.

III.

Fragen wir nach der Familie in unserer Zeik, so fragen wir nach der proleta-
risierten Familie. Wir sehen deshalb absichklich von den mehr oder minder
konservierten Zügen und Formeu der bäuerlichen und bürgerlicheu Familie
ab, wie sie sür eiue restaurative Familiensürsorge (deren relativer Wert nicht
bestrikken sei) noch maßgebend siud. Wir haben auch nichk einzig die Arbciker-
samilie im Auge, die in Wirklichkcit gar keinen cinheiLlichen Typ darstellk,
sondern vicle SpielarLen ausweist und unter gcwissen Lebensbedingungcn auch
leichk wieder „verbürgerlicht". Wir haben vielmehr jenen Typ im Auge, der in
der modernen GroßstadL in allen sozialen Schichten hervortriLL und sich immer
stärker nach oben und untcn durchseHL, dessen Grenzfall jedoch im ProleLariaL
am reinsten anzukreffen ist.

Wclche Struktur weist die proletarischc Familie von heute auf?

Die Familie ist heute im wesentlichen ein sehr stark eingeengker privatcr Le-
bens-Raum, in dem das individuelle Leben dcs Menschen im klcinsten Kreis
noch zu ciner gewissen Daseinssorm kommt. Da diesem Lebcnsraum aber der
nährcnde Kraskstrom sehlt, der ihm Widerstandskrast nach außen gibt, so ist
er den Einwirkungen allcr MöLe und Gebrechen des össentlichcn, des gesell-
schastlichen Daseins ausgeschk, sei es unmikkelbar oder in Form von Neaktio-
nen, die in der Familie zur Auslösung kommcn. Es sei nur andeukungsweise
hingewicscn aus die Derdrängungserscheinungen des unbesriedigLen männlichen

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