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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Scherber, Paul Friedrich: Formen der Musikbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0411

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(mehr die GesamLlage im 2luge) seheu im HeuLe Leils schöne Erfüllung, Leils
den kräfLigen und erfreulichen AufLakL zu einem noch schöneren Morgen. Das
Merkwürdige ist nun, daß wir sowohl den einen als den anderen gefühlsmäßig
zuzusiimmen vermögen, und uns doch auch wieder bei keinem so rechL wohl
fühlen. Ja, wir müssen uns sogar rechL unbehaglich fühlen, indem doch die
beiden vorgeLragenen AnsichLen, deren jede so halb und halb unseren Beifall
findeL, sich grundsätzlich zu widersprechen scheinen. All das läßL unzweideukig
erkennen, daß hier offenbar ekwas WichLiges und Neues im Werden ist, das
jedoch zurzeiL noch nichk zur nö'Ligen Differenzierung und befriedigenden
Klärung durchgedrungen ist.

N°un isi es ja gewiß ein Allgemeines und GeseHmäßig-Menschliches, daß cs
an jedem WegpunkLe der kulkurellen Entwicklung Mcnschen gibk, die ihre
BeLrachLung rückgewendek auf das enkwickelke Gestern richken, und solche, die
mehr auf das seiende HeuLe und das werdende Morgen sehen. Dies Allge-
meine kedingL denn auch zu einem Teil die angezeigken Widersprüche. Aber
diese SiLuakion liegk auch noch in einem Besonderen, Einmaligen begründek.
Der Erkennknis dieses Besonderen vermögen wir uns zu nähern, wenn cs
glückk, uns über die rückweisende ebenso wie über die im HeuLe gebundene
Schau zu erheben und im Gestern das HeuLe als Morgen, im HeuLe das
Morgen von Gestern und das Gestern von Morgen, und im Morgen das
HeuLe als Gestern zu sehen. (Wohlgemerkk, wenn wir schon einmal reflek-
Lieren; denn das Leben verlangk ein ganzes Aufgehen im HeuLe.)

Die Widersprüche, so glauben wir, lösen sich nämlich auf, wenn wir er-
kennen, daß sich die nur negakive Bewerkung unserer ZeiLerscheimmgen grün-
dek auf eine Einstellung, die, im Gestern verwurzelk, dork ihren Sinn und
ihre NoLwendigkeiL hakke. Dieser LriLL nun, mehr und mehr Form und Ge-
stalt gewinnend, heuke eine neue Skellungnahme enkgegen, die unter anderem
Sichtwinkel zu anderen, jenen ersten widersprechenden ResulLaLen kommen
muß. Und, wenn wir hier gleich ekwas unbescheidcn unsere Meinung über
das Morgen andeuken dürfen, so glauben wir, daß dieses weder der erßen
noch der zweiken unbeschränkke GelLung zubilligen wird, aber eben beschränkte
GülLigkeik, nämlich indem sie beide RichLungen des Bekrachkens und Beurkei-
lens dem ihncn gemäßen Gelkungsbereich zuordnen wird.

Doch damiL ist unserer Unkersuchung schon vorgegriffen. Die Aufgaben des
Morgen brauchen uns erft zu kümmern, wenn wir unsere heukigen erfüllk
haben. Diese liegen, wie mir scheink, in klarer Erkennknis und Zusammenfas-
sung der schon ausgereifken Bekrachtungsweise des Gestern und in sorgfäl-
kiger Entwicklung und HerausarbeiLung des hcute einzunehmenden Skandpunk-
Les. Dcnn, daß sich da ein allgemeinerer Wandel in der Auffassung vollzieht,
der zu neuer Skellungnahme drängk, stehk wohl außer Zweifel. Die selbst-
sichere und draufgängerische Haltung, die ekwa die ersten Kunsterziehungs-
Lage gezeigL hatken, ist uns irgendwie verloren gegangen. Ihr Fundamenk
ist unversehens enkgliLLen. Und wenn heute noch Skimmen laut werden in der
Ark, in der der brave PenkerL einst seinen frisch-fröhlichen Kampf gegen die
Schundmusik führte, so haben wir dabei cin sicheres Gefühl des llnhehagens,
daß da etwas nichk ftimme. Es kommt hier irgend eine Jnstanz, für dcren
Wahrnehmung unvermerkt unsere Organe empfänglich geworden sind, zu

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