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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Michel, Wilhelm: Welt und Gegenwelt: Bemerkungen über das Künstliche
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0417

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ich, daß diese Fläche DunkelheiL eine schwarzgekleideke Nonne mik spiher
Haube war, und sah zugleich, daß hinLer ihr aus der PforLe ein breiLer SLrom
durchsichLige Nuchk, eine dunkle LufL herausguoll. Die Nonne ging feierlich
und freundlich an mir vorriber, machLe erfi im Hof die Runde, fiieg dann
die SkeinLreppen nieder und fchriLL durch alle Räume der Burg. Überall,
wohin sie ging, folgke ihr die dunkle Lufk, verbreikeke sich in alle Winkel,
Nifchen und Säle, bis endlich die ganze Burg von wogendem Dunkel erfüllk
war. Die Nonne fchlüpfke wieder an ihre vorige Skelle an ber kleinen PforLe
zurück, und jeHL war Nachk.

Auch hier ift es das ElemenL des Künftlichen, das mir bemerkenswert fcheink:
ein Stück Nakurgefchehen wird vom Traum auf die Formel eiues mecha-
nischen Vorgangs gebrachk, ekwas Lebendiges wird sanfk mik ein wenig
Tod und Skarre vermifchk und gibk sich so dem menfchlichen Begreifen äußerft
faßlich in die Hand. Und fo zog fich, wie gesagk, dieses MvLiv des Künftlichen
längere ZeiL als ein LeiLmokiv durch meine Träume. Zmmer wieder konnLe ich
beobachken, daß eine grundlegende OperaLion meiner Traumphankasie darin
beftand, Lebendiges auf die Formel eines Fabrikates zu bringen oder menfchen-
gemachke und LoLe Dinge in der Weise von AukomaLen zu beleben. Schon
frühe galk es mir als sicher, daß diese Motivwahl der Träume in einer be-
ftimmken Beziehung zu meiner wahren Geifteslage ftehen müsse. Sie mußke
kennzeichnend sein für meine Skellung zum Lebendigen und Nakürlichen: sie
sprach auf der einen SeiLe eine gewisfe OhnmachL und Unznlänglichkei'L gegen-
über dem Lebendigen aus, sie dienke andererseits einem Jnkeresse des Jchs, das
die Welt begreifen und beherrfchen und sie für sich zugerichkek haben wollke.
Unklar dämmerte der Gedanke, daß dieser roksamkene HabichL das Produkt
eines ausgesprochen widerftrebenden und LroHigen Geiftes sein müsse, Zeugm's
einer gewissen ZerfallenheiL mik dem wirklichen Leben oder einer Scheu vor
ihm. Zum Künsilichen mußke diese Geisteslage deshalb führen, weil das Fch
den Anfchluß an das große ftrömende Leben verfchmähke und sich daher nok-
gedrungen mik einer eigenen, fabrizierken, aber dafür faßlichen und beherrfch-
baren Welk behelfen mußke.

Es kann nichk wundernehmen, daß von hier aus der Blick weikerging, zu der
ausgedehnken Nolle hinüber, die das Künftliche im geiftigen Leben dcr Menfch-
heit überhaupL spielk, vorab in der DichLung. Fenes MoLiv der LoLen und doch
lebendigen Hand z. B. hak die Dichtung mehrfach behandelk; Maupassanks
„Horla", Gerard de Nervals Novelle mslu sueliantoo" sind Belege
dafür. Außerordentlich häufig aber kehrL das MoLiv des belebken AutomaLen
in der Dichkung wieder. Besonders in jenen dichkerifchen Skrömungen, die von
der RomanLik ausgehen, LauchL immer wieder der künftliche Menfch, das
redende Spielzeug, die belebte Puppe, das aus der Wand LreLende Bild anf;
hunderkfache Äbwandlungen des Grundkhemas, daß das ToLe und daö Leben-
dige sich wechselseikig zur Läufchenden Maske dienen.

Es läßL sich verfolgen, daß das besondere romankifche Bcrhältnis zum Küuft-
lichen gerade mit dem ungeheuer übersieigerten Begrisf, den die RomanLik vom
Leben hak, zusammenhängk. Was der romankifche Menfch anstrebL, ift cine
fchlechkhin fchrankenlose LebendigkeiL. Leben ift ihm nur denkbar als ein „un-
unterbrochener Skrom", als eine uferlose Fülle, als ein „Schweben zwifchen

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