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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Simmel, Gertrud: Aufklingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0427

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Wir müssen uns selbsi haben; aber wir haben uns nicht selbsi, wenn wir
das All nichi haben und uns im All — dies Absoluie und Bild des Absoluien,
die Welt, die die Osfenbarung isi, weil sie isi. Wir haben auch den Ieebenmen-
schen nichk, wenn wir ihn nichL im AbsoluLen haben; und wir vermögen es
nichL, dieses All zu haben, und so haben wir uns nichL. Wir halLen es nichL,
wir können nur hinwiLLern und -spüren diesem All zu, nur uns hinüberspan-
nen und -ahnen und hinwenden in ErschüLLerLheiL. Der Gedanke kann es durch-
schweifen wie er will — es kosieL ihn kein BluL — aber das heißL nichL haben,
und die WelL isi nichL dem Gedanken erreichbar. Auch daß sie isk, erreichen die
Gedanken nichL. Wir müssen das Unmögliche, wir müssen darin leben, daß
das All ist und unsere göLLliche MiLLe isi; diese WelL, die auch wir sind, die
auch wir isi; deren fruchkbare Feuer uns hervorgebrachL haben und in der un-
sere Herzen wiederum hervorbringen: ein Liebendes. — Wie der Chrisi darin
lebL, daß GoLL isi und daß Iesus für ihn am Kreuz gesiorben isi und ihn
von Sünden erlösi hai. Und die Hinwendung zu diesem All möchke eine Be-
reikung des Herzens sein, in die GoLL wieder säen kann: die KrafL zur Anbe-
Lung, die wir Armseligen aus uns ausgelaugL haben — die KrafL zur Anbe-
Lung, die die einzige Osfenbarung ifi.

llnser Leben isi flach, der Mensch lebi nichL, solange er wcglcbL von dieser
schauerlichen WelL der schwebenden Gesiirne, nichL ganz und gar von da in
seinErdenleben kommk;dieserWelL der schwebendenGesiirne, in der er sich enkseHL.
Er muß ohne WelL leben, solange er das Enksetzen in ihr nichL bcmeisicrn kann—
er muß leben wie ein LreibendesBlaLL.Er kann es nichkbemeisiern, und so leben
wir nichL. Wir erkragen fasi den Blick nichL in diese bodenlosen Fernen; wir
erkragen den Gedanken nichL, daß da in jcdcr Stunde Welksysieme enksiehen,
aufflammen und vergehen; daß unsere Sonne mik ihren Planeken dahinsaufi
in einem Skernenschwarm von ihresgleichen in den Räumen der Milchsiraße,
die ihre ungeheure Welt bedeuken; daß jensei'Ls der WelL unserer Milchsiraße
weiker im Unausdenkbaren Milchsiraßen-Welken schweben, ahnbar kaum, daß
sie wesen, brennen und ein Skernbewcgen in ihnen dahinströmt. Wer soll es
ertragen von uns, all dieses zu denken; dem allen wir als Sprachlose gegen-
übersiehen, das alles uns so unerreichbar isi, daß menschliche Vorsiellungen
wie Zeik, Naum nur MißlichkeiLen und llnanbringbarkeiten scheincn; nnabseh-
bar, unerdenkbar, unerfühlbar dies alles; als von dem Unvorstellbaren klingen
unsere Worke dem nach. Wer soll es erkragen von uns! — Als der mensch-
liche Geisi zu Beginn der „Nruzeit" die alke geschlossene WelL aufriß und
sich in die UnendlichkeiLen fiürzke, gab es die goLLerfüllken schwindelfreien
Entdecker dieser neuen WelL, und es gab den Skrom der heroischen
Begeisierungen, dcr sich ihnen nachsiürzke und den nie wieder zu schlie-
ßenden Riß. Geisier, die wir nie genug verehren können, ob wir ihre Sprache
sprechen oder nichL. Wer soll es aufnehmen von uns, wer soll es erkragen von
uns, die wir von unserer sierilen ÜberlegenheiL, Bildung, GescheiLhei'L her-
kommen. „Über" und „unker" uns und überallhin immer nur die Saai
dieser schwebenden Skerne anzukresfen, in der wir schweben — ein Borsiel-
len, das nicht erträglich ist. Schauerlich die NachL, die uns diese Welk auf-
reißL. Es ifi unser Schicksal, daß wir die WelL haben, die wir nichk erkra-
gen. Das ifi die WelL. NichL nur eine davon abgezogene, sinnli'ch-räumliche

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