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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0393

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Bei Semmelweis.

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geführt werden. Gerade zu der Zeit, als ich mit meinem Freunde im
Gebärhause praktizierte, lieferten zwei änßerst lehrreiche Beobachtungen
den zwingenden Beweis für diese Annahme. Jn einem Briefe, datiert
vom zweiten Weihnachtstage, teilte ich sie meinem Vater mit. Es
wnrden zu zwei verschiedenen Zeitpunkten zwei Frauen in die Anstalt
gebracht, eine Müllersmagd vom Lande mit einem schlecht gepflegten,
eiternden Amputationsstumpfe am Oberarm, und ein armes Weib mit
einer verjauchten Neubildung am Halse der Gebärmutter, beide waren be-
reits von Wehen befallen. Sie wurden deshalb sofort in den Gebärsaal
geschafst, wo stets einige Frauen der Niederkunft entgegen harrten.
Beidemale kam es zu kleinen Senchen des bösartigen Kindbettfiebers, die
sich auf diejenigen Entbundenen beschränkten, die mit den unglücklichen
Personen im Gebärsaale gelegen und mit ihnen untersucht worden waren.

Jn der Geschichte der Medizin wird Semmelweis neben Lister
als einer der größten Wohlthäter des Menschengeschlechtes fortleben.
Sein Scharfsinn verdient kein geringeres Lob, als der des englischen
Chirurgen. Dieser konnte sich aufPasteurs epochemachendeUntersuchungen
stützen, Semmelweis schöpfte einzig und allein aus der klinischen Be-
obachtung und dem anatomischen Besund. — Die antiseptische Behand-
lung ist heute, wie in der Chirurgie, so am Gebärbette gesetzlich eingeführt,
und strafbar sind Arzt und Hebamme, die ihre Vorschriften nicht strenge
befolgen. Semmelweis hat den Triumph seiner Lehre nicht erlebt, er
stieß anf Mißachtnng und Widerspruch vieler der angesehensten Ge-
bnrtshelfer, er ließ sich dadurch nicht von dem richtigen Wege abbringen,
erst nach seinem Tode fand er die verdiente Anerkennung, und seit
einigen Jahren ziert sein Standbild die Hauptstadt Ungarns.

Der Name Semmelweis bleibt mit der Geschichte der jungen
Wiener Schule innig verknüpft. 1855 erhielt er die Professur für
Geburtshilfe an der Universitüt in Pest. Die langen Kämpfe, die der
gemütvolle Mann im Jnteresse der Frauenwelt führen mußte, haben
zweifelsohne zu einer Seelenstörung beigetragen, die seine letzten Lebens-
jahre verdüsterte. Er starb 1865.*)

*) Wer ausführlich über das Lebeu von Semmelweis und die Geschichte
seiner Entdeckung belehrt sein möchte, lese die gediegene Schrift eines der be-
rufensten Fachmänner: Alfred Hegar, Jgnaz Phil. Semmelweis, sein Leben
u. s. Lehre. Freiburg i. Br. u. Tübingen, 1882.
 
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