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aber denken, das hängt von kulturhistorischen, ethischen und
religiösen Bedingungen ab, über die die Kunst keine Macht hat.
Das Erhabene der Gottheit ist ein Teil der Vorstellung dieser Gott-
heit, also etwas Religiöses. Und dieses wird natürlich bei ver-
schiedenen Völkern immer verschieden sein.
Übrigens ist es bisher noch niemand gelungen, die Grenze
zwischen dem Grossen und dem Erhabenen zu ziehen. Man redet
vom Erhabenen ebenso im menschlichen und natürlichen Sinne
wie im übermenschlichen und göttlichen. Zieht man aber über-
haupt das erstere mit hinein, so weiss ich wirklich nicht, wie man
den Punkt bezeichnen will, wo das Grosse aufhört und das Er-
habene anfängt. Wie hoch müssen die Berge einer Gebirgsland-
schaft sein, um einen erhabenen Eindruck zu machen? Wenn
man den Sternenhimmel oder das Meer als erhaben bezeichnet,
ist dann ein Sonnenuntergang oder der Niagarafall auch erhaben
oder nur grossartig? Alles das ist Sache des individuellen Be-
liebens und kann nie objektiv entschieden werden. Zürn Aus-
spinnen geistreicher persönlicher Phantasien ist aber die Wissen-
schaft nicht da.

VIERZEHNTES KAPITEL ,
DAS KÜNSTLERISCHE SCHAFFEN

ES ist neuerdings Sitte geworden, die Frage nach der Entstehung
des Kunstwerks an die Spitze aller ästhetischen Erörterungen
zu stellen und erst von da zum ästhetischen Geniessen überzugehen.
Die empirische Ästhetik muss den umgekehrten Weg einschlagen.
Denn das künstlerische Schaffen im höheren Sinne ist nur wenigen
Auserwählten aus eigener Erfahrung bekannt, während die Meisten,
wenigstens alle Empfänglichen über den ästhetischen Genuss auf
Grund von Selbstbeobachtung urteilen können. Nachdem wir
aber die rezeptive Seite der Kunst in ihrem Wesen kennen gelernt
 
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