Gewichtsfunde in der mittelalterlichen Bergbau- und Hüttensiedlung
am Johanneser Kurhaus bei Clausthal-Zellerfeld und „Am Stoben“ in Goslar
Harald Witthöft
Funde mittelalterlicher Gewichte sind bei Grabun-
gen seltener oder es wird von ihnen seltener berich-
tet, als man annehmen dürfte beziehungsweise
wünschen sollte. Es ist mit Defiziten vor allem der
älteren Forschung zu rechnen. Nicht allein die Re-
gistrierung der Funde, sondern auch ihre wissen-
schaftliche Bearbeitung und Veröffentlichung las-
sen Wünsche offen. Aus der scheinbaren Armut an
metrologischen Bodenfunden sollten deshalb keine
vorschnellen Folgerungen über die Gewichtspraxis
des frühen und hohen Mittelalters gezogen werden.
Eine Ausnahme bilden die systematischen For-
schungen zu den wikingerzeitlichen Kleingewich-
ten Nordeuropas und - daraus hervorgegangen -
zu den mittelalterlichen Waagen und Gewichten
aus Schleswig (Steuer 1987; 1997b. Witthöft
2001). Eine gänzlich anders geartete und jüngere
Forschungslandschaft eröffnet uns schließlich die
einsetzende Sachüberlieferung von kaufmänni-
schen sowie Münz- und Edelmetall-Gewichten in
Westeuropa seit dem 13. und in Deutschland öst-
lich des Rheins seit dem 14. Jahrhundert - mit gut
erhaltenen Stücken von einem Viertel-Pfund bis
zu einem 30-Mark-Stück einerseits sowie Klein-
gewichten herab bis zu Lot-Teilen andererseits
(Machabey 1962. Witthöft 1979; 1991).
Weit verbreitet ist die Annahme, dass der im all-
gemeinen schlechte Erhaltungszustand derartiger
Stücke eine metrologische Analyse nicht zulasse.
Beschreibende Kriterien werden selten systema-
tisch zu einer Fundsicherung herangezogen -
anders als zum Beispiel auf dem Felde der Numis-
matik. Die historische Metrologie hält heute
jedoch ein gesichertes Instrumentarium numeri-
scher Kriterien und funktionaler Merkmale für
eine kritische Analyse bereit1.
1. Ein Fundstück lässt sich als Gewicht nach Ma-
terial, Form, Abmessungen, Bearbeitung und
Funktion vielfältig beschreiben - sofern die
Umstände seiner Überlieferung dies zulassen
(Fundort, Erhaltung, Datierung).
2. Das Wiegen war im Wirtschaften des frühen
und hohen Mittelalters die Ausnahme, nicht
die Regel - folgte bei Massenprodukten erst
spät dem Hohlmaß -, konnte sich mit Norm-
gefäßen (Eimer, Korb) und mit Verpackungs-
normen (Tonne von Schiffpfundgewicht) dau-
erhaft verbinden. Erst seit dem hohen Mittel-
alter mehrten und differenzierten sich seine
Anwendungsbereiche.
3. Seit dem frühen Mittelalter bediente man sich
bei kostbaren Dingen/Gütern der Kleingewich-
te und gleicharmigen Schalwaagen, dazu für
Krämer-Waren spätestens seit dem hohen Mittel-
alter der ungleicharmigen kleineren und für
Zentner- oder gar Schiffpfundgüter (2 V2-3 Ztr.)
der größeren Schnellwaagen (Pfünder) - ver-
schieden nach Bauart und Größe, nach Ver-
breitung und Nutzung in Stadt und Land, je
nach Herrschaftsgebiet, relevanten Handlungs-
beziehungsweise Anwendungsbereichen und
der Marktentwicklung.
4. Metrologisch überliefern Gewichtsstücke und
-einheiten ebenso wie Maßstäbe und deren
Einteilungen uns ihre je besonderen Zahlwer-
te beziehungsweise deren Relationen; jedes
Wiegen und Messen - auch das metrische und
dezimale - war und ist ein Vergleichen mit Hil-
fe der Zahl.
5. Die Stücke und Einheiten verkörpern2:
a. zum einen eine bestimmte „interne“ Zahl
eines rationalen lokalen Teilungssystems
[1 Pfund = 2 Mark = 8 Unzen = 16 Lot etc.],
b. zum anderen eine oder mehrere, in der zeit-
genössischen kaufmännischen oder der Münz-
praxis gängige(n) „externe“ Zahl(en) einer
lokalen, regionalen oder überregionalen Ver-
gleichung
[20 Mark Köln = 19 Mark Troyes - 6 Mark
Köln = 5 Mark Wien etc. -
auch Pfund1 (Karl 408,240 g) : Pfund2 (Karl
435,456 g) = 15 : 16 (Unzena) -
1 Es fehlt bis heute eine zusammenfassende Studie. Siehe deshalb Beispiele, Thesen und Belege unter anderem bei H. Wit-
thöft 1979, Iff.; 1993, 2ff.; 1995b, lff.
2 Siehe für karolingerzeitliches und Kölner Gewicht unter anderem H. Witthöft 1984; 1989; 1990a; 1997.
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am Johanneser Kurhaus bei Clausthal-Zellerfeld und „Am Stoben“ in Goslar
Harald Witthöft
Funde mittelalterlicher Gewichte sind bei Grabun-
gen seltener oder es wird von ihnen seltener berich-
tet, als man annehmen dürfte beziehungsweise
wünschen sollte. Es ist mit Defiziten vor allem der
älteren Forschung zu rechnen. Nicht allein die Re-
gistrierung der Funde, sondern auch ihre wissen-
schaftliche Bearbeitung und Veröffentlichung las-
sen Wünsche offen. Aus der scheinbaren Armut an
metrologischen Bodenfunden sollten deshalb keine
vorschnellen Folgerungen über die Gewichtspraxis
des frühen und hohen Mittelalters gezogen werden.
Eine Ausnahme bilden die systematischen For-
schungen zu den wikingerzeitlichen Kleingewich-
ten Nordeuropas und - daraus hervorgegangen -
zu den mittelalterlichen Waagen und Gewichten
aus Schleswig (Steuer 1987; 1997b. Witthöft
2001). Eine gänzlich anders geartete und jüngere
Forschungslandschaft eröffnet uns schließlich die
einsetzende Sachüberlieferung von kaufmänni-
schen sowie Münz- und Edelmetall-Gewichten in
Westeuropa seit dem 13. und in Deutschland öst-
lich des Rheins seit dem 14. Jahrhundert - mit gut
erhaltenen Stücken von einem Viertel-Pfund bis
zu einem 30-Mark-Stück einerseits sowie Klein-
gewichten herab bis zu Lot-Teilen andererseits
(Machabey 1962. Witthöft 1979; 1991).
Weit verbreitet ist die Annahme, dass der im all-
gemeinen schlechte Erhaltungszustand derartiger
Stücke eine metrologische Analyse nicht zulasse.
Beschreibende Kriterien werden selten systema-
tisch zu einer Fundsicherung herangezogen -
anders als zum Beispiel auf dem Felde der Numis-
matik. Die historische Metrologie hält heute
jedoch ein gesichertes Instrumentarium numeri-
scher Kriterien und funktionaler Merkmale für
eine kritische Analyse bereit1.
1. Ein Fundstück lässt sich als Gewicht nach Ma-
terial, Form, Abmessungen, Bearbeitung und
Funktion vielfältig beschreiben - sofern die
Umstände seiner Überlieferung dies zulassen
(Fundort, Erhaltung, Datierung).
2. Das Wiegen war im Wirtschaften des frühen
und hohen Mittelalters die Ausnahme, nicht
die Regel - folgte bei Massenprodukten erst
spät dem Hohlmaß -, konnte sich mit Norm-
gefäßen (Eimer, Korb) und mit Verpackungs-
normen (Tonne von Schiffpfundgewicht) dau-
erhaft verbinden. Erst seit dem hohen Mittel-
alter mehrten und differenzierten sich seine
Anwendungsbereiche.
3. Seit dem frühen Mittelalter bediente man sich
bei kostbaren Dingen/Gütern der Kleingewich-
te und gleicharmigen Schalwaagen, dazu für
Krämer-Waren spätestens seit dem hohen Mittel-
alter der ungleicharmigen kleineren und für
Zentner- oder gar Schiffpfundgüter (2 V2-3 Ztr.)
der größeren Schnellwaagen (Pfünder) - ver-
schieden nach Bauart und Größe, nach Ver-
breitung und Nutzung in Stadt und Land, je
nach Herrschaftsgebiet, relevanten Handlungs-
beziehungsweise Anwendungsbereichen und
der Marktentwicklung.
4. Metrologisch überliefern Gewichtsstücke und
-einheiten ebenso wie Maßstäbe und deren
Einteilungen uns ihre je besonderen Zahlwer-
te beziehungsweise deren Relationen; jedes
Wiegen und Messen - auch das metrische und
dezimale - war und ist ein Vergleichen mit Hil-
fe der Zahl.
5. Die Stücke und Einheiten verkörpern2:
a. zum einen eine bestimmte „interne“ Zahl
eines rationalen lokalen Teilungssystems
[1 Pfund = 2 Mark = 8 Unzen = 16 Lot etc.],
b. zum anderen eine oder mehrere, in der zeit-
genössischen kaufmännischen oder der Münz-
praxis gängige(n) „externe“ Zahl(en) einer
lokalen, regionalen oder überregionalen Ver-
gleichung
[20 Mark Köln = 19 Mark Troyes - 6 Mark
Köln = 5 Mark Wien etc. -
auch Pfund1 (Karl 408,240 g) : Pfund2 (Karl
435,456 g) = 15 : 16 (Unzena) -
1 Es fehlt bis heute eine zusammenfassende Studie. Siehe deshalb Beispiele, Thesen und Belege unter anderem bei H. Wit-
thöft 1979, Iff.; 1993, 2ff.; 1995b, lff.
2 Siehe für karolingerzeitliches und Kölner Gewicht unter anderem H. Witthöft 1984; 1989; 1990a; 1997.
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