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SPÄTMINOISCHER VASENFUND BEI SUDA 87
Unterschiede in der Zeichnung: An Seite B ist der Hals mit Farbe überdeckt, die
Unterseite des Wagenvorderteils dreistrichig.
Es folgen auf Seite A zwei, auf Seite B drei Schreitende, womit die Figurenzahl
der beiden Prozessionen wieder die gleiche ist. Wieder kleine Unterschiede in der
Zeichnung: Die Darstellung des Zopfes ist an Seite B um eine zusätzliche mittlere
Wellenlinie bereichert, der Zopf im allgemeinen etwas länger. Der zurückstoßende
Ellenbogen wurde an Seite A in den Körperumriß einbezogen.
Bei einer Deutung des Stileindrucks ist zunächst die Feststellung wichtig, daß
die Gestalten sich jenseits der Bodenlinie in verschiedener Tiefe fortsetzen und dem-
zufolge von dem später gezogenen Ornamentband teilweise zugedeckt wurden. Vor
allem die Beine des Pferdes auf Seite A reichen über den zweiten Streifen hinaus;
dort, zwischen dem zweiten und dritten Streifen erkennt man die Hufe. Damit
wiederholen die Pferde die hochbeinigen Proportionen der Schreitenden. Auch das
Verhältnis von Pferd und Wagen, der jetzt nur noch als Anhängsel wirkt, ent-
spricht verwandten Darstellungen. Im Gegensatz dazu stehen zwei Gestalten
(Seite B) mit je einem Fuß, bzw. Fußansatz auf der Bodenlinie auf, die übrigen
Gestalten reichen in den ersten Streifen hinein. Die Darstellung hatte also nach
unten hin keine gemeinsame Grundlinie und dieser Umstand mußte zu dem er-
wähnten Konflikt führen, daß das mittlere Ornamentsystem Teile der Darstellung
abschnitt und überdeckte. In anschaulicher Weise gerät so altes und neues Stil-
denken zueinander in Gegensatz. Auf der einen Seite ist es das verwildernde Ende
der in freiem Spiel die Gefäßwand überdeckenden minoischen Dekoration, wie es
sich an den kretischen Tonwannen auslebt2, auf der anderen Seite die beginnende
Zonenaufteilung der folgenden geometrischen Periode.
Der Stil der Darstellung ist das Ergebnis einer die ererbten Bildvorräte manieriert
übersteigernden Empfindung. In der Art, wie die Körper gebogen, gedehnt, ver-
kümmert und in ihre einzelnen Glieder aufgelöst sind, erkennt man das Bedürfnis
nach gewaltsamen Formen, die, liniensicher gezogen, sich dem Auge und dem
Gedächtnis einprägen, nachdem die ursprünglichen komplizierten Zusammen-
hänge in Vergessenheit geraten waren und zu dem noch komplizierteren Natur-
vorbild keine Brücke mehr führte. Einige bezeichnende Fälle sind in der Beschrei-
bung zur Sprache gekommen. Zwar muß das groteske Mißverhältnis zwischen
Körper und Beinen, das die schreitenden Gestalten insgesamt auszeichnet, zum
Teil wenigstens wohl auf die gefühlte Nötigung zurückgeführt werden, den Körper
mit dem der viel kleineren fahrenden Personen in gleichem Maßstab zu halten,
und das ist den Beinen zugute gekommen. Doch bietet gerade die Beinpartie ab-
gesehen von ihrer Ausdehnung ein aufschlußreiches Beispiel für die Auflösung
ursprünglich organischer Zusammenhänge. Aus den Beinpaaren sind rein paratak-
tische Gegenüberstellungen geworden, d. h. an das Standbein lehnt sich das zweite,
im Gegensinn gezeichnete rückwärts an oder ist richtungsgleich dazugestellt. Die
Zugehörigkeit zur Figur wird durch einen verbindenden Querstrich demonstriert.
1 Evans, PM IV 820 Abb. 799. ä Doro Levi a. O. 637 Abb. 658; Evans, PM. IV 330 Abb. 272. 338
Abb. 281; BSA. 8, 1901 /2, Taf. 19; Deltion 6, 1920/21, 154s. Abb. 1. Abb. 4S.
 
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