des Geistes, dem jede Form der Erziehung kostbare Erkenntnis und Wegweisung ver-
dankt.“
Was wir klassischen Philologen und das humanistische Gymnasium Eduard Spranger
verdanken, brauche ich hier nicht mehr darzulegen, nachdem er selbst im Jahre 1960 sich
so eingehend und grundsätzlich zur Bildungsidee des humanistischen Gymnasiums be-
kannt hat. Eduard Spranger war in seinem eigenen Wesen so stark von Sokratisch-
Platonischem Geist geprägt, daß er diese seine geistigen Väter für die Bildung der heran-
wachsenden Generation für unentbehrlich halten mußte. Wir müssen aber dabei einen
Vorbehalt und eine Warnung beherzigen, denen das humanistische Gymnasium nicht
immer ganz gerecht geworden ist. Bei der Beschäftigung mit der Antike als einer heute
noch gültigen Lebensmacht kann es sich niemals darum handeln, antike Sachverhalte
als interessante Wissenstatsachen in historischem Sinn zur Kenntnis zu nehmen; sie
müssen dem Jugendlichen vielmehr zum Bewußtsein gebracht werden als Gegenstände
der Vergangenheit, die heute noch lebendig sind. Sie müssen also - und das ist die vom
Erzieher täglich geforderte Kunst — so dargestellt werden, daß sie dem werdenden
Menschen als seine Sache bewußt werden. Dabei ist es Eduard Spranger ganz klar, daß
es sich nicht darum handeln kann, antike Beispiele zu billigen Anweisungen für das
Leben von heute zu machen; diese sind vielmehr nur geeignet, das Problembewußtsein
zu wecken, das heißt den aufnahmebereiten jungen Menschen zu nötigen, aus der Not
seiner Zeit heraus die heute mögliche und richtige Lösung zu suchen. Nicht Nachahmung
des Vergangenen, sondern Neugestaltung im Geiste des Vergangenen in der Not der
Gegenwart ist der Sinn dieser Bildungsbemühung.
Darin liegt zweierlei:
1. die Überwindung des Flistorismus, dessen grundsätzlich relativierende Betrach-
tungsweise jede nun einmal auf Normen angelegte Bildungsarbeit unmöglich macht,
2. die Bewahrung der Freiheit des zu Bildenden, der nichts annehmen muß, was
seiner Art, nämlich seiner Möglichkeit der Rezeption, nicht entspricht.
Das hohe antike Bildungsgut wird damit zum Magnetstein für deii Jugendlichen.
Für den einen ist es unangemessen; er wird nach anderen Leitbildern suchen. Für den
anderen bedeutet es die entscheidende Zündung, die seinem Leben Inhalt und Richtung
gibt; er mag seiner Zeit zum Segen werden! Der Wissende erkennt, welche Forderungen
damit an den Lehrer der alten Sprachen gestellt sind. Wenn es uns nicht gelingt, Wis-
sen, und zwar redliches, mühsam erworbenes Wissen in Bildung, in lebensgestaltende
Erfahrung, zu verwandeln, haben wir unsere eigentliche Aufgabe nicht erfüllt. Wie oft
hat Eduard Spranger über diese Sorge gesprochen!
Ich bin noch zwei Tage vor seinem Sterben bei ihm gewesen und habe mich seiner in
allem Leiden wahrhaft rührenden Freundschaftlichkeit und großen Anmut erfreuen
dürfen. Er verfügte über eine vollendete, ritterliche Höflichkeit. Mancher, der ihm
begegnete, verstand diese Höflichkeit falsch als gewollte Distanzierung. Das war es
ganz und gar nicht. Eduard Spranger suchte die menschliche Nähe; aber er war ein
Preuße, ein Preuße von der edelsten Art. Ritterliche Höflichkeit war für ihn die Form
menschlicher Verbundenheit, die er, verhalten und stets richtig abgestuft, allen, die
er achtete und liebte, in unwandelbarer Treue bewahrt hat.
Ecce homo vere humanus!
Erich Haag
Das Mitteilungsblatt 1/1963 des Landesverbandes Berlin im DAV bringt Nachrufe
auf den am 11. 1. 63 verstorbenen OSchRat Dr. Willy Neumann (von Dr. Max Kriiger
und Fritz Sommer). Am 23. 8. 63 verstarb Dr. Arnold Bork, dem im Heft 3/1963 des
genannten Mitteilungsblattes Wiirdigungen von Fritz Sommer und Rudolf Lennert
gewidmet sind. H. I.
UNTVERSITÄTS
EI3LIOTHEK
HLIDELBERG
dankt.“
Was wir klassischen Philologen und das humanistische Gymnasium Eduard Spranger
verdanken, brauche ich hier nicht mehr darzulegen, nachdem er selbst im Jahre 1960 sich
so eingehend und grundsätzlich zur Bildungsidee des humanistischen Gymnasiums be-
kannt hat. Eduard Spranger war in seinem eigenen Wesen so stark von Sokratisch-
Platonischem Geist geprägt, daß er diese seine geistigen Väter für die Bildung der heran-
wachsenden Generation für unentbehrlich halten mußte. Wir müssen aber dabei einen
Vorbehalt und eine Warnung beherzigen, denen das humanistische Gymnasium nicht
immer ganz gerecht geworden ist. Bei der Beschäftigung mit der Antike als einer heute
noch gültigen Lebensmacht kann es sich niemals darum handeln, antike Sachverhalte
als interessante Wissenstatsachen in historischem Sinn zur Kenntnis zu nehmen; sie
müssen dem Jugendlichen vielmehr zum Bewußtsein gebracht werden als Gegenstände
der Vergangenheit, die heute noch lebendig sind. Sie müssen also - und das ist die vom
Erzieher täglich geforderte Kunst — so dargestellt werden, daß sie dem werdenden
Menschen als seine Sache bewußt werden. Dabei ist es Eduard Spranger ganz klar, daß
es sich nicht darum handeln kann, antike Beispiele zu billigen Anweisungen für das
Leben von heute zu machen; diese sind vielmehr nur geeignet, das Problembewußtsein
zu wecken, das heißt den aufnahmebereiten jungen Menschen zu nötigen, aus der Not
seiner Zeit heraus die heute mögliche und richtige Lösung zu suchen. Nicht Nachahmung
des Vergangenen, sondern Neugestaltung im Geiste des Vergangenen in der Not der
Gegenwart ist der Sinn dieser Bildungsbemühung.
Darin liegt zweierlei:
1. die Überwindung des Flistorismus, dessen grundsätzlich relativierende Betrach-
tungsweise jede nun einmal auf Normen angelegte Bildungsarbeit unmöglich macht,
2. die Bewahrung der Freiheit des zu Bildenden, der nichts annehmen muß, was
seiner Art, nämlich seiner Möglichkeit der Rezeption, nicht entspricht.
Das hohe antike Bildungsgut wird damit zum Magnetstein für deii Jugendlichen.
Für den einen ist es unangemessen; er wird nach anderen Leitbildern suchen. Für den
anderen bedeutet es die entscheidende Zündung, die seinem Leben Inhalt und Richtung
gibt; er mag seiner Zeit zum Segen werden! Der Wissende erkennt, welche Forderungen
damit an den Lehrer der alten Sprachen gestellt sind. Wenn es uns nicht gelingt, Wis-
sen, und zwar redliches, mühsam erworbenes Wissen in Bildung, in lebensgestaltende
Erfahrung, zu verwandeln, haben wir unsere eigentliche Aufgabe nicht erfüllt. Wie oft
hat Eduard Spranger über diese Sorge gesprochen!
Ich bin noch zwei Tage vor seinem Sterben bei ihm gewesen und habe mich seiner in
allem Leiden wahrhaft rührenden Freundschaftlichkeit und großen Anmut erfreuen
dürfen. Er verfügte über eine vollendete, ritterliche Höflichkeit. Mancher, der ihm
begegnete, verstand diese Höflichkeit falsch als gewollte Distanzierung. Das war es
ganz und gar nicht. Eduard Spranger suchte die menschliche Nähe; aber er war ein
Preuße, ein Preuße von der edelsten Art. Ritterliche Höflichkeit war für ihn die Form
menschlicher Verbundenheit, die er, verhalten und stets richtig abgestuft, allen, die
er achtete und liebte, in unwandelbarer Treue bewahrt hat.
Ecce homo vere humanus!
Erich Haag
Das Mitteilungsblatt 1/1963 des Landesverbandes Berlin im DAV bringt Nachrufe
auf den am 11. 1. 63 verstorbenen OSchRat Dr. Willy Neumann (von Dr. Max Kriiger
und Fritz Sommer). Am 23. 8. 63 verstarb Dr. Arnold Bork, dem im Heft 3/1963 des
genannten Mitteilungsblattes Wiirdigungen von Fritz Sommer und Rudolf Lennert
gewidmet sind. H. I.
UNTVERSITÄTS
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