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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 7.1964

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Nr. 1
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Probleme des lateinischen Anfangsunterrichts
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Holtermann, Horst: Erfahrungen bei der mündlichen Reifeprüfung
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https://doi.org/10.11588/diglit.33066#0013
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des Stoffs und eine Zeiteinsparung läßt sich nur erreichen, wenn in methodisch durch-
dachter Form und mit den für ein echtes Verständnis notwendigen Mitteln der Lernstoff
möglichst knapp eingeführt und mit Hilfe der verschiedenen Übungsformen, die reich-
haltig und abwechslungsreich gewählt werden müssen, befestigt wird, während daneben
das Vertrautwerden mit der lateinischen Sprache ein Vertrautwerden mit römischem
Denken und seinen Inhalten anstrebt, damit zu gegebener Zeit reibungslos der Über-
gang zur Lektüre erfolgen kann und bereits der sprachliche Grundkurs einen wesent-
lichen Beitrag zur Denkschulung und geistig-seelischen Bildung leistet.

Erfahrungen bei der mündlichen Reifeprüfung

von Horst Holtermann, Göttingen

Übernommen aus „Mitteilungen des DAV“ Landesverband Niedersachsen, Nr. 4/62

Die Forderung, einen unbekannten Text zum Übersetzen und Interpretieren vorzu-
legen, muß mit der anderen Forderung, den Grad des Könnens, nicht aber des Nicht-
wissens und der Hilflosigkeit des Abiturienten zu priifen, in Einklang gebracht werden.

Als Maßstab dafür, ob ein unbekannter Text dem Umfang nach zur mündlichen Prü-
fung geeignet ist, hat das Verfahren bei der schriftlichen Prüfung zu gelten. Hier werden
in Niedersachsen in 5 Stunden (300 Minuten) 250 Wörter zum schriftlichen Übersetzen
und Interpretieren vorgelegt. Bei Fortfall des Zwanges, schriftlich zu fixieren, diirften
2 Wörter pro Minute Verarbeitungszeit das Äußerste dessen darstellen, was ein Schü-
ler für die mündliche Prüfung sicher bewältigen kann.

Tradition scheint jedoch an vielen Schulen zu sein, daß man vom Schiiler mündliche
Übersetzung und Fähigkeit, eine Interpretation mitzuvollziehen, an 100 bis 150 Wör-
tern Text nach höchstens 30 Minuten Vorbereitungszeit verlangt, also bis zu 5 Wörter
pro Minute. Die niedersächsische Reifeprüfungsordnung setzt aber weder Umfangs- noch
Zeitgrenzen für Text und Vorbereitungszeit, sie verlangt „angemessenen“ Text und
„ausreichende“ Zeit. Was ausreichend ist, kann erstens aus obiger Norm (2 Wörter
pro Minute) und zweitens aus der verschiedenen Fähigkeit des Prüflings, einen Text
schnell zu erfassen, hergeleitet werden. Man darf sein Urteil dabei nicht trüben lassen
durch Erfahrungen mit divinatorisch Begabten oder gar Vergleiche ziehen zum Tempo,
in dem eine Klassengemeinschaft von 20, gut eingespielt, einen unbekannten Text ex
tempore übersetzt. Das Abitur ist keine Geschwindigkeitsprüfung. Auf den Grad des
sicheren Könnens kommt es an.

Das Quantum macht es alleine natürlich nicht, denn Text ist nicht gleich Text. And-
rerseits fand ich unter den erfahrensten Kollegen bisher niemanden, der weniger als 30%
Fehlurteile bei der Fragestellung „leicht oder schwer?“ erzielt hat, wenn man den jewei-
ligen Prüfungsausgang als gültige Antwort ansieht. Getestete Standardtexte, soge-
nannte Tannenbäume („Alle Jahre wieder“ ...) erzielen bei angeblich oder wirklich gleich
begabten Prüflingen oft die größten Differenzen im Resultat. Denn Unterricht ist nicht
gleich Unterricht. Die Beurteilung der Schwierigkeit, des Quale, bleibt also weiterhin
riskant. Das ist nicht unbedingt bedauerlich. Wer hätte ein Interesse daran, den ganzen
Prüfungsvorgang zu standardisieren und zu mechanisieren?

Grammatische Kreuz- und Querfragen zerstören die Prüfungsatmosphäre und er-
geben eine Farce (Beliebte Frage: mitteninne: „Kennen Sie die Stammformen?“). Be-
stimmungsgemäß dürfen in Niedersachsen grammatische Fragen im Anschluß an die
Übersetzung des Prüflings nur gestellt werden, soweit sie zur Klärung des Textver-
ständnisses nötig sind. Man muß das Verfahren bei Abiturprüfungen in Latein und

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