Gedanken zur schriftlichen Reifeprüfung
Von Oberstudienrat Dr. Erwin Zierke
Nun war es also wieder einmal so weit! Das „Schriftliche“ war vorüber, und
alle Gedanken konzentrierten sich auf das von noch viel mehr Geheimniskräme-
rei umwitterte „Mündliche“.
Würdige Oberstudiendirektoren (und -torinnen) revidierten „Schülertoilet-
ten beiderlei Geschlechts“, klappten die Brillen hoch, um zu überprüfen, ob nicht
etwa mit Tesafilm ein Liliput-Wörterbuch daruntergeklebt sei, sie erklommen
kühn die Sitze selbst und blickten scharf und kritisch in die Senkkästen: Auch
dort hätte ja etwas „Verbotenes“ versteckt sein können! Sie tasteten hinter Was-
serzuführungs- und -ableitungsrohre. Abiturienten und Abiturientinnen, die von
sich aus nie auf so dumme Gedanken gekommen wären, wurden erst darauf ge-
bracht, was man alles tun könnte, indem man ihnen klarmachte, was alles ver-
boten sei. Es wurde eigentlich nichts versäumt, um eine gewisse „Zuchthaus-
atmosphäre“ zu schaffen mit Warnungen und Drohungen, mit Mißtrauen und
prophylaktischen Verdächtigungen, mit feierlicher (ministeriell angeordneter!)
Verlesung des § 14 Ziffer 9 der Reifeprüfungsordnung (gilt für Hessen!). Man
träumte von „Kassibern“ an vereinbarten Orten und von „Spickzetteln“. Alte
Herren renommierten mit raffiniertesten Tricks, wie sie es doch geschafft hät-
ten, den „dummen Lehrern“ einen Streich zu spielen. Mappen wurden revidiert,
wobei man offenbar voraussetzte, daß die Oberprimaner, denen man in wenigen
Wochen die Hochschulreife zu testieren gedenkt, so unsagbar blöd seien, ihre
Liliput-Wörterbücher in die Schulmappen zu stecken anstatt in die Hosentaschen.
Es fehlte eigentlich nur noch die Leibesvisitation! Lür Abiturienten einen Krimi-
nalrat und für Abiturientinnen eine Kriminalrätin (wegen der langen Strümpfe)!
Vielleicht noch einige Schulpsychologen und -loginnen (für kürzere Strümpfe)!
Und wozu dies alles? Wie dumm ist doch dies ganze Getue! Nur geeignet, die
ganze Schule mitsamt der Lehrerschaft kurz vor Toresschluß noch einmal gründ-
lich lächerlich zu machen, was denn wohl auch prompt gelingt.
Der Verfasser ist sich dessen bewußt, daß er bis hierher übertrieben und ver-
allgemeinert hat. Er ist gefaßt auf geharnischte, entrüstete und ironische Proteste
von den Schulen, an denen es natürlich „ganz anders“ ist, und er weiß, daß es
das alles doch noch gibt, wenn auch freilich nicht überall und nicht überall
gleich.
Aber die Abiturienten (-innen) brauchen doch gar nicht zu-„spicken“! Sie
bekommen doch „Hilfen“! Ja, diese Hilfen! Sie sind und bleiben ein Problem
für den Lehrer ebenso wie für die Schüler. Auch dem besten Pachlehrer, der es
sicher gut gemeint hat, wird oft erst bei der Korrektur klar, daß noch die eine
oder andere Hilfe nötig gewesen wäre. Dafür wäre die eine oder andere mög-
licherweise unnötig gewesen! Das ist so eine Prestige-Lrage. Gibt man zu wenig
Hilfen, besteht das Risiko, daß es ein Piasko gibt. Sind es zuviele, so könnte ja
bei dem Herrn Oberschulrat, der über die Stellen entscheidet (und der sicher alle
Vokabeln weiß), der Eindruck entstehen, die Klasse kenne zuwenig Vokabeln.
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Von Oberstudienrat Dr. Erwin Zierke
Nun war es also wieder einmal so weit! Das „Schriftliche“ war vorüber, und
alle Gedanken konzentrierten sich auf das von noch viel mehr Geheimniskräme-
rei umwitterte „Mündliche“.
Würdige Oberstudiendirektoren (und -torinnen) revidierten „Schülertoilet-
ten beiderlei Geschlechts“, klappten die Brillen hoch, um zu überprüfen, ob nicht
etwa mit Tesafilm ein Liliput-Wörterbuch daruntergeklebt sei, sie erklommen
kühn die Sitze selbst und blickten scharf und kritisch in die Senkkästen: Auch
dort hätte ja etwas „Verbotenes“ versteckt sein können! Sie tasteten hinter Was-
serzuführungs- und -ableitungsrohre. Abiturienten und Abiturientinnen, die von
sich aus nie auf so dumme Gedanken gekommen wären, wurden erst darauf ge-
bracht, was man alles tun könnte, indem man ihnen klarmachte, was alles ver-
boten sei. Es wurde eigentlich nichts versäumt, um eine gewisse „Zuchthaus-
atmosphäre“ zu schaffen mit Warnungen und Drohungen, mit Mißtrauen und
prophylaktischen Verdächtigungen, mit feierlicher (ministeriell angeordneter!)
Verlesung des § 14 Ziffer 9 der Reifeprüfungsordnung (gilt für Hessen!). Man
träumte von „Kassibern“ an vereinbarten Orten und von „Spickzetteln“. Alte
Herren renommierten mit raffiniertesten Tricks, wie sie es doch geschafft hät-
ten, den „dummen Lehrern“ einen Streich zu spielen. Mappen wurden revidiert,
wobei man offenbar voraussetzte, daß die Oberprimaner, denen man in wenigen
Wochen die Hochschulreife zu testieren gedenkt, so unsagbar blöd seien, ihre
Liliput-Wörterbücher in die Schulmappen zu stecken anstatt in die Hosentaschen.
Es fehlte eigentlich nur noch die Leibesvisitation! Lür Abiturienten einen Krimi-
nalrat und für Abiturientinnen eine Kriminalrätin (wegen der langen Strümpfe)!
Vielleicht noch einige Schulpsychologen und -loginnen (für kürzere Strümpfe)!
Und wozu dies alles? Wie dumm ist doch dies ganze Getue! Nur geeignet, die
ganze Schule mitsamt der Lehrerschaft kurz vor Toresschluß noch einmal gründ-
lich lächerlich zu machen, was denn wohl auch prompt gelingt.
Der Verfasser ist sich dessen bewußt, daß er bis hierher übertrieben und ver-
allgemeinert hat. Er ist gefaßt auf geharnischte, entrüstete und ironische Proteste
von den Schulen, an denen es natürlich „ganz anders“ ist, und er weiß, daß es
das alles doch noch gibt, wenn auch freilich nicht überall und nicht überall
gleich.
Aber die Abiturienten (-innen) brauchen doch gar nicht zu-„spicken“! Sie
bekommen doch „Hilfen“! Ja, diese Hilfen! Sie sind und bleiben ein Problem
für den Lehrer ebenso wie für die Schüler. Auch dem besten Pachlehrer, der es
sicher gut gemeint hat, wird oft erst bei der Korrektur klar, daß noch die eine
oder andere Hilfe nötig gewesen wäre. Dafür wäre die eine oder andere mög-
licherweise unnötig gewesen! Das ist so eine Prestige-Lrage. Gibt man zu wenig
Hilfen, besteht das Risiko, daß es ein Piasko gibt. Sind es zuviele, so könnte ja
bei dem Herrn Oberschulrat, der über die Stellen entscheidet (und der sicher alle
Vokabeln weiß), der Eindruck entstehen, die Klasse kenne zuwenig Vokabeln.
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