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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 7.1964

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Nr. 1
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Bornemann, Eduard: Ein dialektisches Kolloquium in Gent
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https://doi.org/10.11588/diglit.33066#0005
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gespielt haben. Daß wir sie ernsthaft erwägen müssen, scheint mir selbstverständlich
zu sein, aber immer unter der Voraussetzung, daß auch die neuen Wege zu einer gründ-
lichen Erfassung der monumentalen antiken Literatur führen, die für die Bildung der
Jugend, insbesondere einer europäischen Jugend (hierauf wies mit besonderem Nach-
druck Prof. Büchner hin), unersetzbar ist. In Deutschland haben Versuche, in-Nach-
ahmung der direkten Methode der Neusprachler zu einem bescheidenen latine loqui
zu kommen, meines Wissens wenig Anklang gefunden 2. Im Gegenteil: die radikaleren
unter unseren Methodikern lehnen alles ab, was an aktiver Sprachübung über die
Herübersetzung hinausgeht, und „durchforsten“ lieber die lateinische Grammatik, aus
der sie z. B. feminine Bäume und Neutra auf -e und -al (mare, animal!) hinauswerfen
möchten 3. Ganz anders steht es außerhalb unserer Grenzen. So referierte Prof. Leeman
in sehr wohlwollender Weise (wenn auch nicht ohne einige sinnfällige Einwände)
über Erfahrungen mit dem von dem Dänen Haiis Oerberg gestalteten Kurs „Lingua
latina secundum naturae rationem explicata“, der an Hand eines geschlossenen Textes
(von ungefähr 1000 Seiten!) die ganze Struktur der lateinischen Sprache gleichmäßig
und harmonisch entfalten soll. „Sein Text bedarf keiner Erklärung in der Sprache
des Schülers. Jedes unbekannte neue Wort, jede grammatische Form, jede neue syn-
taktische Konstruktion erklärt sich aus dem sprachlichen und sachlichen Zusammenhang,
wobei von visuellen Hilfsmitteln in virtuoser Weise Gebrauch gemacht wird. . . . Nach
jedem Kapitel (des Textes) folgt erst ein Abschnitt grammatica latina, wo die Er-
klärung ebenfalls in Latein gegeben wird, und zwar in so einfacher Weise (?!), daß
auch dieses Latein selbsterklärend ist; dann folgen Übungen, und auch hier ist alles
lateinisch usw.“ Ich wage kein Urteil über diese verblüffenden Feststellungen, ehe ich
selbst das Oerbergsche Buch einmal genauer durchgesehen habe. Es ist ursprünglich als
Fernkurs für Erwachsene konzepiert und mag sich da, überhaupt für ältere Schüler,
bewähren; als Unterlage für grundständiges Gymnasiallatein kann ich es mir nicht
vorstellen. Was insbeesondere die Klärung der grammatischen Begriffe betrifft, so bin ich
aufgrund meiner langen und vielfachen Erfahrung fest davon überzeugt, daß sie soweit
wie möglich an der Muttersprache erfolgen muß. Und die Vertreter einer solchen direk-
ten Methode sollten auch nicht vergessen, wie schwer es ist, Anfänger zum Denken in
der Fremdsprache zu führen; diese schalten immer wieder (im stillen) die Muttersprache
zwischen ihr Hören und ihr Sprechen.

Weniger radikal inbezug auf die Fernhaltung der Muttersprache scheint die Methode
zu sein, die von dem an der Europaschule in Mol tätigen Prof. de Man entwickelt ist
und uns in Gent von ihm selbst geschildert und erläutert wurde. Sein Verfahren läßt
eine Übersetzung zu, nachdem zuvor die ganzen Abschnitte „par une etude latine“

2 Der Bericht von Hanna Sattler über ihre Erfolge mit der englischen oral method
(Der altspr. Unterr. III, 4, 1959, S. 62 ff.), mußte schon wegen seines unsauberen La-
teins bedenklich machen. Daß Anfänger abör aus der dort gestalteten Kindergarten-
sphäre zum „inneren Erschauen des unübersetzbaren Bedeutungsgehalts der lateinischen
Sprachform“ (S. 66) vorstoßen können, schien mir eine seltsame ujtegßoU) zu sein.

3 Dazu gestatte man mir eine Warnung, die ich schon an anderer Stelle ausgespro-
chen habe: „Es ist nun einmal so, daß man im Lateinischen nur dann einen fruchtbaren
Lektüreunterricht treiben kann, wenn die Schüler über ein hinreichendes Vokabelwissen
und über sichere Kenntnisse in der fundamentalen Grammatik verfügen. Dieser Block
von Vorkenntnissen ist konstant und kann nur bis zu einem gewissen Grad abgerundet
werden. Was man in den Lehrbuchjahren wegläßt, fehlt später bei derLektüre und macht
diese zur Qual für Schüler und Lehrer. Außerdem sollte man nicht die reichen Bildungs-
werte unterschätzen, die schon in einem langsam und organisch fortschreitenden Vorlek-
türelatein liegen.“

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