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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 7.1964

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Probleme des lateinischen Anfangsunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.33066#0009
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ausgehen, die durch Gebrauch des Wortes in immer neuen Sinnzusammenhängen (im
Verlauf des Grundkurses) in ihrer ganzen Komplexität anzureichern ist. So und nicht
anders war es von denen gemeint, die sich der ,Wortgleichung‘ bedienten und die es für
methodisch bedenklich hielten, den Schüler sofort mit der ganzen Vielfalt römischer Vor-
stellungskreise, die zu einem Kernbegrilf gehören, vertraut zu machen. Man überlege
sich, wieviele zusammenhängende Stücke beispielsweise bei der Einführung des Begriffs
fides zu schreiben wären, wenn die zahlreichen, seine Kompexität nur bezeichnenden,
nicht ausschöpfenden deutschen Benennungen aus dem Zusammenhang mit Anschauung
erfüllt und nicht als rein gedächtnismäßig aufgefaßte Synonyma in der Wortkunde ge-
lernt werden sollten! Voraussetzung aber dafür, in immer neuen Zusammenhängen den
Vorstellungsbereich eines Wortes auszuschreiten, ist, daß jene Zusammenhänge in Wort-
wahl, Phraseologie, Stil, in den ,Satzbauplänen‘, „die jede Muttersprache für die Ge-
samtheit ihrer Angehörigen bereitstellt“, im weitesten Sinn Ausdruck römischen Den-
kens sind. Hier wird von den meisten Lehrbüchern schwer gesiindigt, ohne daß auf diese
Grundforderung in den Methodiken und dem meisten einschlägigen Schrifttum gebüh-
rend hingewiesen würde. Es genügt nicht, wenn ein neues Lehrbuch für die Kurzform
des Lateinunterrichts ankündigt, „der Einübungsstoff bringe neben Einzelsätzen schon
früh mit Anekdoten, Sprichwörtern und Sentenzen viel originales Latein“ und „im
letzten Drittel des Lehrgangs weitgehend Caesarbeispiele“ (wobei es vom psychologi-
schen Standpunkt aus fragwürdig erscheint, Caesarsätze als exercitia vorwegzunehmen).
Selbst eine neue Methodik glaubt, daß man als „Vorstufe lateinisch geformte Sätze und
Übungsstücke“ bringen dürfe und zitiert in anderem Zusammenhang als Mustersätze
aus einem lateinischen Übungsbuch Beispiele wie Opto, ut hodie in silva ludos paremus
oder „Zusammenhänge“ wie Infans morsus clamavit. Clamor infantis morsi sonuit. In-
fantem morsum suscepi, Sätze, die so kein Römer geschrieben hätte. Wenn man aber
Ernst damit machen will, daß „die Betrachtung und reflektierte Übung der lateinischen
Sprache“ (Patzer aO) immer im Verhältnis zur Muttersprache zu geschehen habe, dann
ist solch ein Beginnen wertlos, wenn es sich nur um „lateinisch geformte“, aber aus dem
Geist des Deutschen gestaltete Texte handelt, die ihre Entstehung einer praktizierten
Austauschbarkeit zwischen den Sprachen (z. B. Freude bereiten = laetitiam parare, sie
sollen wissen = scire debent) verdanken, von der man theoretisch mit Entrüstung
spricht. Solange ein Übungsbuch noch keine originalen lateinischen Texte bringen kann,
ist jedes Wort in seinem Gebrauch, jede Wort- und Satzverbindung, jeder Satzbauplan
an der antiken Überlieferung (die wir nicht mehr auf Caesar und Cicero beschränken)
nachzuprüfen, da wir nur so die Gewähr haben, von der Sprache her in ihren Geist
einzuführen. Daß darüber hinaus die Stoffe des Grundlehrgangs und selbstverständlich
auch der Bilderschmuck (besonders geeignet sind erzählende Reliefs) der römischen und
griechischen Welt zu entnehmen sind, mit dem ihr eigenen Denken und Handeln ver-
traut zu machen haben, um (vor allem in der Kurzform) bereits von den Werten zu
vermitteln, die wir den antiken Autoren verdanken, braucht nicht besonders betont
zu werden. Der Gang durch den Grundkurs sollte in stetem Umgang mit ,originalem‘
Latein, antiken Inhalten und Werten, wie sie sich in Wort und Bild ausdrücken, ein
immer tieferes Eindringen in das fremde Wesen und in Wechselwirkung damit ein bes-
seres Verständnis des eigenen ermöglichen.

Von hier aus ist ein Blick auf die viel umstrittene sog. Hinübersetzung aufschluß-
reich. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die deutschen Sätze vice versa ganz aus dem
Geist des Deutschen geschrieben sein müssen. Alsdann kann man prüfen, ob sich ein
lateinisches Wort für den Schüler mit einem Anschauungskomplex verbindet, wenn bei-
spielsweise im deutschen Text nicht mehr die im Vokabular gegebene Benennung er-
scheint. Der Vergleich zwischen den beiden Sprachen wird hier noch bewußter vollzo-
gen als bei der umgekehrten Übersetzungsrichtung. Die Vertrautheit mit der römischen

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