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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0010
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2

"ETortoort

Fräulein sind, entgeht Ihnen das Wesen des Künstlerberufs, den nur männliche Eigen-
schaften erschöpfen. Wohl verstanden, erschöpfen! Wahrscheinlich ist die Kunst — zu-
mal die bildende — der einzige Beruf, dessen Höhen nur dem Manne gehören. DieParan-
these füge ich ein, weil der Gipfel der Dichtung dem schwächeren Geschlecht eher er-
reichbar scheint. Frauen können, ohne ihr Geschlecht zu betrügen, Bekenntnisse von
unbegrenzter Gültigkeit formen und haben es des öfteren getan.

Aber, sagen Sie, es geht gar nicht um Kunst, sondern um Kunstschreiberei. Da habe ich
Sie. Nun weiß ich, was Sie sind. Nur Frauen streiten so. Doch meinen Sie die Kunst,
sonst würden Sie nicht gegen das müßige Kunstinteresse wettern, als wenn solche Müßig-
keit, gedruckt oder nicht, der einzige Umgang mit Werken wäre. Ihr Zorn ist nur mit amusi-
scher Abstinenz zu erklären, denn anderenfalls würde Sie alles Kunstgeschwätz nicht hin-
dern, die Notwendigkeit eingehender Auseinandersetzung mit Kunst und Künstlern zu
begreifen, und empfänden Sie so, wäre Ihnen jedes Kommunikationsmittel bis auf weiteres
recht, auch wenn die Schwerfälligkeit heutiger Kunstbücher, wenigstens der meinen, an die
Postkutsche vor hundert Jahren erinnert. Denn die Kutsche ist keine verschlossene Kiste.
Sie haben Fenster im Vehikel, können hinaus sehen, wie der Weg geht, halten lassen, aus-
steigen, die Gegend begucken, abkürzen, schneller laufen und das Fahrzeug streckenweise
benutzen. Sie werden nicht um Ihre Reiselust gebracht. Übrigens mag der Nutzen für
die Insassen gering genug sein. Er steht nicht in Frage, denn man hat seine Laster nicht
zum Vergnügen der Einwohner. Und dessen versichere ich Sie, lieber X, mir erwächst
dabei ein Vergnügen, das ich mir andern Lastern nicht zu entnehmen getraue. Es hat eine
gewisse intellektuelle Befriedigung voraus. Flandelt es sich ja nicht darum, die Empfindung
vor diesem oder jenem Werke in dichterische Worte zu fassen; das würde auf die Dauer
zu immer stärkeren Worten und schließlich zu Salbaderei führen; vielmehr um Auf-
decken der Verbindung zwischen den Werken untereinander, zwischen Bild und Gesamt-
heit der Bilder, zwischen Bild und Schöpfer, Bild und uns; ein an sich rein verstandes-
mäßiges Unternehmen. Allenfalls ist wie bei den meisten geistigen Betätigungen Intuition
dabei, aber die muß sich an vorgezeichnete Grenzen halten und hat nur die Darstellung
zu erfinden. Sobald einer losgehen und ohne hinzusehen, formulieren will, kommt plötz-
lich ein neues Bild und zwingt, zu stoppen oder umzudrehen, und immer stellt sich heraus,
daß die losgelassene Intuition den Komplex verkleinert und unbillig vereinfacht hätte.
Die von den Bildern gegebene Wirklichkeit ist immer ungleich reicher. Wo man einen
Abschluß sah, da setzen drei neue Wege ein und öffnen gar nicht geahnte Perspektiven.
Es ist wie im Gebirge. Oben kommt immer noch eine Spitze. Deshalb können Sie zehn
Bücher über Rembrandt schreiben und haben ihn immernoch nicht. Ich könnte verstehen,
 
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