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Meier-Graefe, Julius [Editor]; Corot, Jean-Baptiste-Camille [Ill.]
Corot — Berlin, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.27162#0053
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chen im Grase liegt (R 255), eine ungebührlich vergrößerte Zeichnung. Die detaillierten
Bäume mit ihrer reichen Verästelung mögen Rousseau begeistert haben. Ähnlichen Geistes
und gleichen Formats „Le Gue“, das Salonbild von 1833, auch dem Walde von Fontaine-
bleau entnommen (R 257). Ein mit mehreren Pferden bespannter schwer beladener
Wagen passiert einen Tümpel. Man denkt an den Constable des „Hay Wain“, den Corot
so gut wie Delacroix und wie die Maler von Barbizon gesehen hat, auch an den Nachteil
der großen Formate Constables neben dem Glanz seiner Skizzen. Die Vorzüge der aus-
gesprochenen Teilung der Fläche durch gewetzte Pinselstriche in verschiedenen Farben,
das epochemachende Verfahren, das von Delacroix begeistert übernommen wurde, ent-
gingen Corot. Er bedurfte ihrer nicht, wenn er sich draußen dem Eindruck überließ,
denn dann brachte seine Struktur des Motivs Leben genug, und der robuste Farbenauf-
trag hätte die kleinen Bilder unnötig belastet und die Zeichnung verwischt. Dagegen
hätte die Methode der Kahlheit seiner großen Salonbilder abgeholfen. Die dürftige Epi-
dermis hat Werke von der Art des „Gue“ in einem mißlichen Sinne historisch werden,
um nicht zu sagen, vermodern lassen. Der „Gue“ wurde mit einer Medaille ausgezeichnet;
Prämie für lustlosen Fleiß. Die Rue du Bac erhielt Komplimente.

Das Stigma des uns wohlbekannten Biedermeiertums. Auch die Unseren hatten mit dem
kleinen Format der sogenannten Naturstudie, die unbemerkt blieb, nicht genug und
suchten, die Gelegenheitsgedichte zu Epen zu verlängern. Sie wollten nicht sein, was sie
waren, und verloren alles. Corots Differenzen sind kaum geringer, aber sie liegen auf
größerem Felde und wurden von primitivren Regungen bestimmt. Der „Salon“, dem er
gehorchte, hat alle möglichen Schrecken, nur nicht die Verführungen deutscher Meta-
physik. Er verdarb seine Bilder, weil Bertin und die anderen es so wollten, und dachte
sich nichts dabei, tat es mit einer Art Gemächlichkeit, die ihn auch vor der Natur nicht
im Stich ließ. Vielleicht saß sein Biedermeiertum tiefer. Es hinderte nicht, die Studien
zu vibrieren. Durch sieben Häute spürt man die Wärme. Nie werden die vibrierenden
Lichter zu lodernden Flammen. Auch das liebt man an den sogenannten Studien. Denn
in uns allen steckt ein von der Unrast verschonter Rest des Biedermeiers. Mit den über-
lebensgroßen Salonbildern übertrieb Corot sein Kleinbürgertum. Der Wald von Fontaine-
bleau wird zur guten Stube. Wahrscheinlich rief den Outsider die Kameradschaft mit
den Malern von Barbizon. Eine falsch gerichtete Conscience gab ihm ein, die seiner
Muse bequemen Baulichkeiten, die geliebten „Fabriken“ — so lautet der technische Aus-
druck — zu fliehen und von der sündhaften Lust an der Natur zu lassen. Aber er hatte
zum Glück immer sein Retourbillet ins Freie in der Tasche.

Die Askese dauert nicht lange. Im Mai 1834 geht er wieder nach Italien, diesmal auf ein
 
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