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Beziehung zu Venedig und Toscana.
ungemein bewegtes Linienspiel, mit hufeisenförmigen Rautenrahmen, mit halbirten Fisch-
blasen, mit Drei- und Vierpässen. Das ist die malerisch spielende, echt oberitalienischc
Spätgothik, welche — man erinnere sich der Tabernakel an der Front des Domes von Como —
der reinen Renaissance selbst noch im endenden Quattrocento parallel geht. Zeichnung1) und
Profilirung dieser Fenster finden ihre nächsten Analogien jedoch besonders in der venezia-
nischen Kunst. In der That ist die reifste Phase spätgothischer, schon mit Renaissance-
elementen stark durchsetzter Decoration, wie sie in Venedig vor allem zur Zeit des Dogen
Francesco Foscari herrscht, in der Certosa bei Pavia auch in der decorativen Plastik ver-
treten. Am bezeichnendsten sind da die üppigen, meisterhaft gearbeiteten Bl ätterco ns ölen,
welche die Gewölberippen der Sacristeien aufnehmen (Abb. 80). Dieses im allgemeinen
akanthusartige, aber rundlich conturirtc, weich geschwungene Blattwerk mit seinen als Leit-
punkte dienenden Bohrlöchern, in gefälligen Linien und malerischer Formenfülle bald aufwärts
bald abwärts gewendet, diese sonnenblumenartigen Knäufe, diese Fruchtkelche und Kränze,
und dazwischen dann diese feinen figürlichen Details, die Löwenköpfe und Frauenportraits
— das Alles ist venezianischen Sculpturen der fünfziger Jahre innig verwandt. Man ver-
gleiche nur den prächtigen Blattfries, der die Durchgangshalle zum Hof des Dogcnpalastes
gliedert, oder denjenigen am Grabmal Francesco Foscaris in der Frarikirche; ferner aber
auch das Blattwerk an der Ca’ d’ Oro und besonders an jener schon früher erwähnten
reichen Brunnenmündung in ihrem Hof! 2) Durch diese venezianischen Werke wird man
auch hier aber wiederum auf jene specifisch obcritalienische Fortbildung toscanischer
Einflüsse hingeleitct, die wir in diesem Capitel erörterten. Jener Blattfries im Durchgang
des Dogenpalastes ist die reifere, originelle Gestaltung von Motiven, welche durch Tos-
caner, besonders durch Giovanni da Fiesoie und Pietro da Firenze, an den Säulencapitälcn
der Fronten eingeführt worden waren. Aehnliche Blattformationen, die als Vorstufen gelten
können, zeigt das Brenzoni-Monument in S. Fermo zu Verona, das Werk des Florentiners
Rosso; ähnliche ferner vor allem die ganze früher geschilderte Sculpturenreihe in Castiglionc
d’ Olona. Wir haben auch bereits während der ersten Hälfte des Quattrocento mehrere
lombardische Meister kennen gelernt, die diese Florentiner Einwirkungen persönlich erfuhren
und selbständig verarbeiteten. Es sei nur an Matteo Raverti erinnert. Aus diesem
Kreis müssen auch die Bildhauer hervorgegangen sein, welche diese prächtigen Sacristci-
capitäle der Certosa meifselten, ebenso die Meister der ihnen verwandten Pfcilercapitäle
im Querschiff. Zeitlich fallen alle diese Arbeiten jedoch schon unter Giuniforte Solari,
und ihre malerische, kraftvolle Fülle enthält keinen Widerspruch zu dessen dccorativem
Geschmack, mag sich derselbe an der Certosa auch sonst vorzugsweise schon in der Formen-
sprache der Frührenaissance bewegen. Gerade durch das Nebeneinander der beiden Stil-
weisen empfangen auch diese Thcile der Certosa ihr charakteristisches Gepräge, gerade
durch sie nähert sie sich mehr, als durch ihre Raumgestaltung, stilgeschichtlich den übrigen
oberitalienischen Bauten des Uebergangsstiles.
Die schon so echt lombardisch durchgebildete Frührenaissance am Aeufscren der Chor-
theile aber darf innerhalb unserer Studien die Stilweise einer ganzen Reihe von Werken ver-
treten , welche in Mailand in den fünfziger und sechziger Jahren des Quattrocento besonders
durch Pietro und Giuniforte Solari geschaffen wurden. Bauten wie S. Maria Incoronata,
S. Pietro in Gessatc, das Langhaus von S. Maria delle Grazie und von S. Satiro,
S. Maria della Pace und S. Maria del Carmine zeigen in den einzelnen Thcilen ihrer
Decoration das gleiche Stilbild. Noch während der Renaissance selbst, als der Stile Bra-
mantesco bereits seinen läuternden Einflufs ausübt, wird die Nachwirkung dieser frischen,
aber etwas derben Stilistik zu verfolgen sein, noch bis in die gleiche Zeit hinein, in welcher
die Certosa bei Pavia zum strahlendsten Denkmal der lombardischen Renaissance in ihrer
Blüthezeit wurde. —
1) Durelli, a. a. O. Taf. 57 f.
2) Der gleichen Richtung gehört eine in die Sculpturen-Sammlung des Berliner Museums ge-
langte Brunnenmündung aus Venedig an. Vergl. Bode-v. Tschudi, Beschreib, d. Bildwerke d. christl.
Epoche. Berlin 1888. Nr. 162.
Beziehung zu Venedig und Toscana.
ungemein bewegtes Linienspiel, mit hufeisenförmigen Rautenrahmen, mit halbirten Fisch-
blasen, mit Drei- und Vierpässen. Das ist die malerisch spielende, echt oberitalienischc
Spätgothik, welche — man erinnere sich der Tabernakel an der Front des Domes von Como —
der reinen Renaissance selbst noch im endenden Quattrocento parallel geht. Zeichnung1) und
Profilirung dieser Fenster finden ihre nächsten Analogien jedoch besonders in der venezia-
nischen Kunst. In der That ist die reifste Phase spätgothischer, schon mit Renaissance-
elementen stark durchsetzter Decoration, wie sie in Venedig vor allem zur Zeit des Dogen
Francesco Foscari herrscht, in der Certosa bei Pavia auch in der decorativen Plastik ver-
treten. Am bezeichnendsten sind da die üppigen, meisterhaft gearbeiteten Bl ätterco ns ölen,
welche die Gewölberippen der Sacristeien aufnehmen (Abb. 80). Dieses im allgemeinen
akanthusartige, aber rundlich conturirtc, weich geschwungene Blattwerk mit seinen als Leit-
punkte dienenden Bohrlöchern, in gefälligen Linien und malerischer Formenfülle bald aufwärts
bald abwärts gewendet, diese sonnenblumenartigen Knäufe, diese Fruchtkelche und Kränze,
und dazwischen dann diese feinen figürlichen Details, die Löwenköpfe und Frauenportraits
— das Alles ist venezianischen Sculpturen der fünfziger Jahre innig verwandt. Man ver-
gleiche nur den prächtigen Blattfries, der die Durchgangshalle zum Hof des Dogcnpalastes
gliedert, oder denjenigen am Grabmal Francesco Foscaris in der Frarikirche; ferner aber
auch das Blattwerk an der Ca’ d’ Oro und besonders an jener schon früher erwähnten
reichen Brunnenmündung in ihrem Hof! 2) Durch diese venezianischen Werke wird man
auch hier aber wiederum auf jene specifisch obcritalienische Fortbildung toscanischer
Einflüsse hingeleitct, die wir in diesem Capitel erörterten. Jener Blattfries im Durchgang
des Dogenpalastes ist die reifere, originelle Gestaltung von Motiven, welche durch Tos-
caner, besonders durch Giovanni da Fiesoie und Pietro da Firenze, an den Säulencapitälcn
der Fronten eingeführt worden waren. Aehnliche Blattformationen, die als Vorstufen gelten
können, zeigt das Brenzoni-Monument in S. Fermo zu Verona, das Werk des Florentiners
Rosso; ähnliche ferner vor allem die ganze früher geschilderte Sculpturenreihe in Castiglionc
d’ Olona. Wir haben auch bereits während der ersten Hälfte des Quattrocento mehrere
lombardische Meister kennen gelernt, die diese Florentiner Einwirkungen persönlich erfuhren
und selbständig verarbeiteten. Es sei nur an Matteo Raverti erinnert. Aus diesem
Kreis müssen auch die Bildhauer hervorgegangen sein, welche diese prächtigen Sacristci-
capitäle der Certosa meifselten, ebenso die Meister der ihnen verwandten Pfcilercapitäle
im Querschiff. Zeitlich fallen alle diese Arbeiten jedoch schon unter Giuniforte Solari,
und ihre malerische, kraftvolle Fülle enthält keinen Widerspruch zu dessen dccorativem
Geschmack, mag sich derselbe an der Certosa auch sonst vorzugsweise schon in der Formen-
sprache der Frührenaissance bewegen. Gerade durch das Nebeneinander der beiden Stil-
weisen empfangen auch diese Thcile der Certosa ihr charakteristisches Gepräge, gerade
durch sie nähert sie sich mehr, als durch ihre Raumgestaltung, stilgeschichtlich den übrigen
oberitalienischen Bauten des Uebergangsstiles.
Die schon so echt lombardisch durchgebildete Frührenaissance am Aeufscren der Chor-
theile aber darf innerhalb unserer Studien die Stilweise einer ganzen Reihe von Werken ver-
treten , welche in Mailand in den fünfziger und sechziger Jahren des Quattrocento besonders
durch Pietro und Giuniforte Solari geschaffen wurden. Bauten wie S. Maria Incoronata,
S. Pietro in Gessatc, das Langhaus von S. Maria delle Grazie und von S. Satiro,
S. Maria della Pace und S. Maria del Carmine zeigen in den einzelnen Thcilen ihrer
Decoration das gleiche Stilbild. Noch während der Renaissance selbst, als der Stile Bra-
mantesco bereits seinen läuternden Einflufs ausübt, wird die Nachwirkung dieser frischen,
aber etwas derben Stilistik zu verfolgen sein, noch bis in die gleiche Zeit hinein, in welcher
die Certosa bei Pavia zum strahlendsten Denkmal der lombardischen Renaissance in ihrer
Blüthezeit wurde. —
1) Durelli, a. a. O. Taf. 57 f.
2) Der gleichen Richtung gehört eine in die Sculpturen-Sammlung des Berliner Museums ge-
langte Brunnenmündung aus Venedig an. Vergl. Bode-v. Tschudi, Beschreib, d. Bildwerke d. christl.
Epoche. Berlin 1888. Nr. 162.