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Rückblick. Gesamtverhältnis zur antiken und mittelalterlichen Tradition.

ideal der Gothik fort, wie es vor allem in der französischen Sculptur vor Augen steht, nur
hat er dasselbe durch einen hohen Wohllaut der Linien und Formen zu echt monumentaler
Würde geläutert. Seine eigene Kunst wurzelt in einem seltenen Gefühl für das harmonische
Mafs ruhiger Schönheit. Darin möchte man gern einen der ersten Strahlen der zu neuem
Licht erstarkenden classischen Sonne sehen. Vielleicht ist es in Wahrheit eher das Abend-
roth der gothischen Kunstweise im Widerschein südlichen, italienischen Formensinnes.
Seine letzte, köstlichste Verklärung im Spiegelbild einer künstlerisch gereiften Kunst fand
dasselbe dann in den Schöpfungen Ghibcrtis. Das war, wie Cornelius vortrefflich sagt,
der ,,Schwanengesang der Gothik“ in Italien.
Eine solche Entwicklung hat die gothische Bildncrci im Norden, speciell am
Mailänder Dom, im Ganzen nicht genommen, obgleich wir einzelne Werke dieser Gattung
auch dort nachweisen konnten, und deren Charakter zuweilen sogar auch noch innerhalb
der Quattrocentokunst fortlebt, beispielsweise in jener feinen Statue der S. Agnes (Abb. 49).
Aehnlich, wie auf dem Gebiet der Decoration, geht auch die gothische Bildnerci in der
Lombardei vielmehr von vornherein von gleichsam gröberen Anschauungen aus, welche
aber gerade in ihrer kernigen Kunstsprache voll drastischer Deutlichkeit einem Hauptzug
der wahren Renaissance vielleicht näher bleibt, als die oben berührte Richtung der floren-
tiner Plastik. Ein dem herben Realismus nordischer Holzschnitzereien verwandter Geist
herrscht in einer Reihe der ältesten Domsculpturen vor, besonders in denen der Sacristei-
supraporten, in den Werken des Hans von Fernach, des Giacomo und Matteo da Campione,
und in der ganzen Zeit, in welcher Giovannino de Grassi für den decorativen Bildschmuck
des Domes mafsgebend ist. Das bleibt zuletzt der wichtigste Zuschufs transalpiner Kunst-
weise zum Stilbild der lombardischen Uebergangszeit.
In der zweiten, durch Paolino da Montorfano, Matteo Raverti und Jacopino da
Tradate gekennzeichneten Künstlergeneration büfst dieser Realismus seine herbe Schärfe
zu Gunsten einer mehr malerisch-decorativen Wirkung wieder ein, und es sollte bis zum
letzten Drittel des Quattrocento währen, bis die lombardische Plastik wenigstens äufserlich
auf jene transalpine Stilistik wieder zurückgriff. Die Anregung dazu ging später von der
oberitalienischen Kunst selbst aus, und zwar von der Malerei und Zeichnung, vor allem
von Mantegna. —
Jene zweite, bis etwa zur Mitte des Quattrocento tonangebende Reihe lombardischer
Bildhauer vollends zählt zweifellos zu den Vorkämpfern der neuen Kunst, in ähnlichem
Sinne wie in Toscana Niccolö d’ Arezzo. Sieht man von der unsicheren Haltung und
der Faltenfülle ihrer Statuen ab, so bekunden dieselben eine verhälnifsmäfsig unbefangene,
auf rein genrehafte Reize ausgehende Naturbeobachtung. Vorboten dafür sind bereits
viele jener Kleinsculpturen, jener Porträtköpfe und Thiere, die am Sockel und an den
Consolen angebracht sind, unmittelbar aber zeugen dafür fast sämtliche „Giganten“, eine
Heiligenfigur, wie der S. Babila, und ein Bidnifs, wie das Martins V. Allerdings spricht
der Realismus der Darstellung, welcher den Beginn einer neuen Zeit verkündet, in diesen
Sculpturen oft weniger aus den Details, als aus dem Charakter des Gesamtentwurfes, obgleich
man auch nach Mafsgabe der ersteren wenigstens die Mehrzahl der Giganten als Schöpfungen
einer realistischen Kunstweise betrachten darf.
Die auf die Thätigkeit der genannten Bildhauer der Dombauhütte dann folgende
Epoche eines unmittelbaren florentiner Einflusses konnte auf dem Felde der Bildnerei
nicht so tiefe Furchen ziehen, wie auf dem der Decoration. Die Befähigung Filarctes
zur Plastik war derjenigen der Lombarden selbst wohl kaum wesentlich überlegen und
kam wenig zur Geltung. Stärker vermochte Michelozzo zu wirken, und der Bildschmuck
der Portinari-Capelle, vor allem der Engelreigen, beweist dies in der That deutlich genug.
Allein auch dort haben lombardische Meister noch Anthcil. In dieser Hinsicht sind die
in Mailand einflufsreichen Toscaner selbst nicht einmal den Donatello-Schülern Giovanni
di Bartolo gen. il Rosso und dem Piero di Niccolö da Firenze und Giovanni di Martino
da Fiesoie gleich, welche die Kunstweise Donatellos in Verona und Venedig vertreten.
Eine so unmittelbar Donatelleske Gestalt, wie der Gewappnete an der linken Ecke des
Sarkophages des Tommaso Moccnigo in S S. Giovanni e Paolo zu Venedig ist uns in der
 
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