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Drittes Capitel. Stile Bramantesco.

Schmuckmotive sind hier denen der Sacristei überall verwandt, allein ihre Zeichnung und
Modellirung ist weit derber, und das gilt auch für die z. Th. aus denselben Formen stam-
mende Ornamentik des Langhauses, sowie auch für deren gekürzte Reliefdarstellung am
Scheinchor. Soweit die starke Uebertünchung und Renovirung dieser Stuckdecoration hier
ein stilkritisches Urtheil überhaupt noch zuläfst, mufs dasselbe der Annahme, der Meister
der Sacristei habe auch diese Details gezeichnet, widersprechen. Und auch die Raum-
gestaltung dieses Langhauses will zu dem Charakterbild, das die Sacristei von Bramantes
Kunst gewährt, nicht stimmen. Deren freier Schönheit gegenüber erscheinen diese nied-
rigen Seitenschiffe doppelt gedrückt und dunkel.
Das Langhaus sollte selbstverständlich nach Norden eine reiche Front erhalten,
allein die dort angrenzenden Häuser zwangen, die Verwirklichung dieses Planes hinaus-
zuschieben. Erst die Gegenwart hat sie erreicht, indem sie der Kirche eine prächtige
Marmorfagade gab und aufserdem einen Vorhof, der sie vom grofsstädtischen Treiben der
Via di Torino scheidet. An dieser heutigen Nordfa^ade1) gehört der Frührenaissance nur
der vorzüglich profilirte Sockel an.2) Ihr freilich ebenfalls neuerdings restaurirtes Werk ist
dagegen der Ausbau und die Aufsendecoration der aus den Tagen Ansbertos stammende/!
Cappella della Deposizione am Ostende des Querhauses (Abb. 46). Ein Lieblingsmotiv
lombardischer Architektur, die kuppelgekrönte Capelle, wie sie etwa die Cascina Pozzobonelli
zeigt,3) hat hier seinen reichsten Formenwechsel erhalten. Vortrefflich wirkt der Uebergang
vom Rund der Umfassungsmauern zu den giebelgekrönten Kreuzarmen, zum Vicrungsquadrat,
zum hohen, achteckigen Tambour mit seinem Zeltdach und endlich wieder zur Kreisform
der Laterne, recht glücklich auch die Belebung der Aufsenwände durch Halbkreisnischen.
Selbst die etwas schwerfälligen Verhältnisse fallen nicht allzu störend ins Gewicht, und
ebensowenig die besonders an den oberen Theilen immerhin derbe Detaillirung — nur darf
man auch hier nicht den Mafsstab der Sacristei-Decoration anlegen.
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Diesem hält überhaupt lediglich die Südfront nach der Via del Falcone Stand,
und auch sie keineswegs in allen Einzelheiten. Alle übrigen Renaissancetheile dieses Ge-
bäudecomplexes sind sowohl ihrem baulichen wie ihrem decorativen Werth nach so viel
unbedeutender, dafs man sie nur zögernd dem gleichen Meister zuschreiben kann. Dazu
kommt, dafs auch ältere Gewährsmänner hier nicht den Namen Bramantes, sondern den
seines Schülers Bramantino4) oder aber des Giovanni Battaggio da Lodi nennen. In
der That weist besonders die ornamentale Detaillirung auf einen Zeichner hin, der die Muster
Bramantes, wie sie die Sacristei enthält, in trockener Art nachbildet. Man sehe beispiels-
weise die Pfeilercapitälchen der Ansberto-Capelle! Die Ornamentik des Inneren steht sogar
noch beträchtlich unter dem Durchschnittsmafs dessen, was etwa gleichzeitig in der Cremoneser
und Bologneser Terracottakunst geleistet wurde.
Mindestens seit 1479 ist der Um- und Ausbau des ganzen Kirchencomplexes im
Werk gewesen, und um diese Zeit war aller Wahrscheinlichkeit nach Bramante der Haupt-
architekt. Die Vollendung aber zog sich lange hin. Einigen Anhalt für die Datirung ge-
währt die Ausschmückung des Querhauses durch Bergognone 1495, geweiht aber wurde
die Kirche erst 1523. Dafs der bald so vielbeschäftigte Bramante die Ausführung einem
Gehülfen überlassen habe, ist durchaus glaubhaft, allein falls er wirklich den frühesten Theil

1) Sie ist ein vortrefflich im Stile Bramantesco gehaltenes Werk des Architekten Vandoni. Von
den figürlichen Reliefs, welche ehemals die hochovalen Felder des Sockels füllten, befinden sich zwei
im Museo Archeologico des Castelles, ein drittes ist im Besitz des Architekten Nava. Ueber einen ver-
muthlichen Entwurf Bramantes für diese Front vergl. Pagave bei Casati, a. a. O. S. 32.
2) Vergl. Geymüller und Courajod, Les estampes attribuees a Bramante. Paris 1874, S. 18.
3) Vergl. Reminiscence ... di Milano I. Tav. XXIII.
4) So Vasari ed. Milanesi VI, S. 513. Lomazzo, Trattato ... I, S. 158 und Idea del tempio
della pittura, S. 103. Sormani, Paseggi . . . 1752. I, S. 156. Mongeri, a. a. O. S. 217. Romussi,
a. a. O. S. 346.
 
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