1.6. Wertediskurse als Gruppenbildung
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für welche die Zeitgenossen kein klar umrissenes Konzept entwickelten.
Schließlich geht die vorliegende Untersuchungskonfiguration ganz allgemein
von Werten und Normen, nicht von enger zu fassenden Tugendkonzepten aus,
um auch jene Diskursivierungen des Erstrebenswerten respektive zu Vermei-
denden zu erfassen, welche nicht an feste Termini wie etwa iustitia oder oboe-
dientia gebunden sind. Das Begriffspaar von Werten und Normen bietet sich
darüber hinaus für die vorliegende Analyse an, da es sich in Anlehnung an die
Definitionen bei Hans Joas für das sozialgeschichtliche Erkenntnisinteresse
fruchtbar machen lässt: Während über die affirmativen Werte die inkludieren-
den Prozesse der Gruppenbildung nach innen erfasst werden können, ermög-
lichen die restriktiven Normen eine Perspektivierung der exkludierend ange-
legten Abgrenzung der Vergemeinschaftung nach außen.
Im Anschluss an diese grundlegende Bestimmung der Termini bedarf es
einer Evaluierung des konkreten Analyserasters, über welches die unterschied-
lichen Werte- und die mit ihnen korrespondierenden Normenvorstellungen er-
schlossen werden. Insgesamt geht die Untersuchung von elf unterschiedlichen
Kategorien aus: Gehorsam, Gerechtigkeit, Büßfertigkeit, Keuschheit, Frömmig-
keit, Soziabilität, Demut, Freigiebigkeit, Gnade, Agonalität und Produktivität.
Die genannten Rubriken sind dabei als heuristisches Instrumentarium zu ver-
stehen, welches der Systematisierung der hier erarbeiteten Befunde dient. Eine
allgemeine Gültigkeit beanspruchen sie dementsprechend nicht. Zudem ist die
Einteilung am modernen Erkenntnisinteresse, nicht am zeitgenössischen Vor-
stellungshorizont orientiert. Die Grenzen zwischen den einzelnen Wertevor-
stellungen gestalten sich in den analysierten Texten durchaus fließend, sodass
eindeutige Zuordnungen nicht immer gegeben scheinen. Die Untersuchung
trägt dieser wechselseitigen Bezogenheit aber insofern Rechnung, als sie einer-
seits besonders bedeutungsreiche Passagen aus unterschiedlichen Perspektiven
beleuchtet. Andererseits geraten die Verflechtungen vor allem durch die grup-
pengeschichtliche Auswertung der Aushandlungen in den Blick.
Eine holistische Untersuchung früh- und hochmittelalterlicher Reformkon-
texte hinsichtlich der in ihnen greifbaren Bildung von Wertegemeinschaften
wäre angesichts der Fülle der analysierbaren Initiativen und der hiermit ver-
bundenen Überlieferung zu weit gesteckt. Um eine möglichst genaue Darlegung
der Werte- und Normendiskurse und ihrer gruppenbildenden Funktionen bieten
zu können, ist bewusst kein breiter Querschnitt avisiert worden. Vielmehr wird
die Analyse gleich in zweifacher Hinsicht enger gefasst und somit exemplarisch
ausgerichtet. Zum einen beschränkt sich die Studie räumlich und zeitlich auf die
ausgehende Angelsachsenzeit in England in den Jahren zwischen ungefähr 850
und 1050. Diese Eingrenzung gewährleistet einerseits die nötige strukturelle
Vergleichbarkeit der Befunde, da von einem sich zwar wandelnden, in seinen
Grundzügen aber gleichförmigen soziokulturellen Kontext der Initiativen aus-
gegangen werden kann. Andererseits ermöglicht diese Ausrichtung auch einen
Vergleich zweier Reformkontexte miteinander, welche in der neueren Forschung
aufgrund ihrer divergierenden Rahmenbedingungen zumeist separiert vonein-
ander betrachtet worden sind: die alfredianischen Reformen am Endes des
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für welche die Zeitgenossen kein klar umrissenes Konzept entwickelten.
Schließlich geht die vorliegende Untersuchungskonfiguration ganz allgemein
von Werten und Normen, nicht von enger zu fassenden Tugendkonzepten aus,
um auch jene Diskursivierungen des Erstrebenswerten respektive zu Vermei-
denden zu erfassen, welche nicht an feste Termini wie etwa iustitia oder oboe-
dientia gebunden sind. Das Begriffspaar von Werten und Normen bietet sich
darüber hinaus für die vorliegende Analyse an, da es sich in Anlehnung an die
Definitionen bei Hans Joas für das sozialgeschichtliche Erkenntnisinteresse
fruchtbar machen lässt: Während über die affirmativen Werte die inkludieren-
den Prozesse der Gruppenbildung nach innen erfasst werden können, ermög-
lichen die restriktiven Normen eine Perspektivierung der exkludierend ange-
legten Abgrenzung der Vergemeinschaftung nach außen.
Im Anschluss an diese grundlegende Bestimmung der Termini bedarf es
einer Evaluierung des konkreten Analyserasters, über welches die unterschied-
lichen Werte- und die mit ihnen korrespondierenden Normenvorstellungen er-
schlossen werden. Insgesamt geht die Untersuchung von elf unterschiedlichen
Kategorien aus: Gehorsam, Gerechtigkeit, Büßfertigkeit, Keuschheit, Frömmig-
keit, Soziabilität, Demut, Freigiebigkeit, Gnade, Agonalität und Produktivität.
Die genannten Rubriken sind dabei als heuristisches Instrumentarium zu ver-
stehen, welches der Systematisierung der hier erarbeiteten Befunde dient. Eine
allgemeine Gültigkeit beanspruchen sie dementsprechend nicht. Zudem ist die
Einteilung am modernen Erkenntnisinteresse, nicht am zeitgenössischen Vor-
stellungshorizont orientiert. Die Grenzen zwischen den einzelnen Wertevor-
stellungen gestalten sich in den analysierten Texten durchaus fließend, sodass
eindeutige Zuordnungen nicht immer gegeben scheinen. Die Untersuchung
trägt dieser wechselseitigen Bezogenheit aber insofern Rechnung, als sie einer-
seits besonders bedeutungsreiche Passagen aus unterschiedlichen Perspektiven
beleuchtet. Andererseits geraten die Verflechtungen vor allem durch die grup-
pengeschichtliche Auswertung der Aushandlungen in den Blick.
Eine holistische Untersuchung früh- und hochmittelalterlicher Reformkon-
texte hinsichtlich der in ihnen greifbaren Bildung von Wertegemeinschaften
wäre angesichts der Fülle der analysierbaren Initiativen und der hiermit ver-
bundenen Überlieferung zu weit gesteckt. Um eine möglichst genaue Darlegung
der Werte- und Normendiskurse und ihrer gruppenbildenden Funktionen bieten
zu können, ist bewusst kein breiter Querschnitt avisiert worden. Vielmehr wird
die Analyse gleich in zweifacher Hinsicht enger gefasst und somit exemplarisch
ausgerichtet. Zum einen beschränkt sich die Studie räumlich und zeitlich auf die
ausgehende Angelsachsenzeit in England in den Jahren zwischen ungefähr 850
und 1050. Diese Eingrenzung gewährleistet einerseits die nötige strukturelle
Vergleichbarkeit der Befunde, da von einem sich zwar wandelnden, in seinen
Grundzügen aber gleichförmigen soziokulturellen Kontext der Initiativen aus-
gegangen werden kann. Andererseits ermöglicht diese Ausrichtung auch einen
Vergleich zweier Reformkontexte miteinander, welche in der neueren Forschung
aufgrund ihrer divergierenden Rahmenbedingungen zumeist separiert vonein-
ander betrachtet worden sind: die alfredianischen Reformen am Endes des