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Bruhn, Stephan; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Christian-Albrechts-Universität zu Kiel [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]
Reformer als Wertegemeinschaften: zur diskursiven Formierung einer sozialen Gruppe im spätangelsächsischen England (ca. 850-1050) — Mittelalter-Forschungen, Band 68: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2022

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69837#0530

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IV.4. Von Bäumen und Aalen

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kritischen Prüfung durch weitere Fallstudien, welche einen ähnlich offenen
Zugang zu frühmittelalterlichen Werteordnungen wählen.
Neben retrospektiven Begrifflichkeiten gilt es zudem, den politischen Fokus
zu überwinden, welcher die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Ver-
hältnisses von laikaler und klerikaler Sphäre im Frühmittelalter kennzeichnet.
Wenngleich Kirche und Reich beziehungsweise Staat nur noch bedingt als Ori-
entierungsgrößen fungieren und stattdessen in einem weiteren Sinne von „Re-
ligion und Politik"1736 gesprochen wird, konzentriert sich ein Großteil der For-
schung noch immer auf die verfassungsgeschichtlichen Implikationen, welche
die weltliche Indienstnahme kirchlicher sowie die sakrale Aufladung weltlicher
Funktionsträger mit sich brachte. Bei aller Akteurszentrierung und Sensibilität
für die situative Dynamik der Verhältnisse geht es somit weiterhin vorder-
gründig um die Definition, Ausdifferenzierung und Legitimation von profanen
wie auch sakralen Machtstrukturen und Herrschaftsansprüchen in ihrer wech-
selseitigen Abhängigkeit. Die Frage nach der Ausdifferenzierung wie auch dem
Ineinandergreifen von laikaler und klerikaler Sphäre erschöpft sich allerdings
nicht in dieser politischen Dimension. Diese Prozesse können etwa ebenso auf
einer werteorientierten Ebene als soziale Phänomene gedeutet werden, wie die
vorliegende Studie gezeigt hat. Zukünftige Forschungen sollten folglich nicht
allein die dem ,Investiturstreit'-Paradigma inhärente teleologische Lesart, son-
dern auch den hierdurch begründeten Fokus auf politisch'-herrschaftliche
Sinngehalte überwinden. „Religion und Politik" bildet nur eine Untersu-
chungsperspektive von vielen, welche an die Wandlungsprozesse des Früh- und
Hochmittelalters herangetragen werden kann.
IV.4. Von Bäumen und Aalen - für eine gruppengeschichtliche
Perspektivierung von Viten
Gilberts Visionsbericht um den verpflanzten Baum scheint auf den ersten Blick
ganz der hagiographischen Stoßrichtung der Vita Herluini verpflichtet zu sein,
dient sie doch vor allem der Verherrlichung ihres Protagonisten, Abt Herluin von
Le Bec. So kann zum einen schon der Vorgang der Voraussage selbst als Aus-
druck göttlicher Erwählung gedeutet werden, welche die durch die vorbildliche
Lebensweise evozierte Heiligkeit Herluins letztgültig untermauert. Zum ande-
ren wird dem Abt eine Schlüsselstellung innerhalb der Erhebung Lanfrancs
zugeschrieben, da es letztlich der aus dieser Offenbarung resultierende Befehl
des Klostervorstehers ist, welcher das heilvolle Wirken des Mönches als Erzbi-
schof in England überhaupt erst ermöglicht. Herluins Bemühungen um eine

1736 Vgl. hierzu etwa die Studien in Körntgen/Wassenhoven, Religion. Bes. prominent ist dieses
Forschungsfeld an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durch den 2007 eingerich-
teten Exzellenzcluster „Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation" ver-
treten. Vgl. zu dessen Forschungen im Bereich der Mediävistik etwa Exzellenzcluster „Religion
und Politik", Leaflet, S. 13-26.
 
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