IV. „Ein verpflanzter Baum und seine
Sprösslinge", oder: Perspektiven für die
zukünftige Forschung
Die vorliegende Untersuchung ist mit der Vision eines reformorientierten Abtes
um einen symbolträchtigen Baum eröffnet worden, sie lässt sich auch mit einer
solchen beschließen. In seiner wohl nach 11091629 entstandenen Vita Herluini be-
schreibt Gilbert Crispin1630, wie Abt Herluin von Le Bec die bald darauf erfolgte
Ernennung seines Schülers Lanfranc zum Erzbischof von Canterbury geoffen-
bart worden sei:
„Es hatte den Anschein, als besäße [Herluin] in einem Gebüsch einen
Obstbaum, mit weitausladenden Asten und überreich an Früchten von
besonderer Sorte mit bestem Geschmack. Der obengenannte König
[Wilhelm der Eroberer] verlangte inständig nach diesem, da er ihn in
seinen eigenen Garten umsetzen wollte. Obwohl [Herluin] sich
sträubte und Widerspruch einlegte, weil er durch diesen allein genährt
wurde, setzte [Wilhelm] sich durch, da er der Herr war, und trug den
Baum fort. Aber sie konnten die Wurzeln nicht vollständig ausreißen;
und aus diesen schlugen dünne Triebe aus, die alsbald zu großen
Bäumen emporwuchsen. Nachdem etwas Zeit in [Herluins] Vision
vergangen war, freute der genannte König sich gegenüber jenem über
das große Früchtetreiben des eigenen Baumes, und [Herluin] ant-
wortete mit Freude, dass er von diesem äußerst üppige Sprösslinge
habe/'1631
Obwohl die Passage im Werkkontext direkt auf die Berufung Lanfrancs durch
den König folgt, ja sie im einleitenden Satz explizit als Vorausdeutung der Er-
hebung ausgewiesen und so mit dem vorherigen Bericht narrativ verknüpft
wird, bietet der Autor im Anschluss eine detaillierte Auslegung dieser Vision:
„Das Gebüsch des Abtes war die Kirche von Le Bec, deren größter
Baum, eben jener Lehrer, nicht allein diese, sondern auch alle anderen
Kirchen in der ganzen Heimat [i.e. in der Normandie] durch sein
1629 Vgl. zur Datierung Abulafia/Evans, Introduction, S. xl.
1630 Vgl. zu Autor und Werk etwa Harper-Bill, Herluin, Evans, Crispin, sowie Foulon, Foundation,
S. 15 f.
1631 Videbatur quod in uirgulto arborem malum habebat, cuius ramorum spatiositas multa erat et magna
fructuum ubertas, pomorum uero species delectabilis et sapor optimus. Hane rex supradictus exposcebat
uolens ad quoddam suum eam ortum transferre. Reluctante ipso isto et quod sola ea sustentaretur
opponente, quia dominus erat euicit et arborem absportauit. Verum radices penitus auelli non potuerunt;
ex quibus pullantes uigule confestim in arbores magnas exereverunt. Post paruum denique sub eo uisu
interuallum, memoratus rex de arboris ipsius nimia fructositate coram illo gaudebat, et Ule se ex ea
letissimas habere propagines aggaudendo respondebat. Gilbert Crsipin, Vita Herluini, Cap. 80-81.
Sprösslinge", oder: Perspektiven für die
zukünftige Forschung
Die vorliegende Untersuchung ist mit der Vision eines reformorientierten Abtes
um einen symbolträchtigen Baum eröffnet worden, sie lässt sich auch mit einer
solchen beschließen. In seiner wohl nach 11091629 entstandenen Vita Herluini be-
schreibt Gilbert Crispin1630, wie Abt Herluin von Le Bec die bald darauf erfolgte
Ernennung seines Schülers Lanfranc zum Erzbischof von Canterbury geoffen-
bart worden sei:
„Es hatte den Anschein, als besäße [Herluin] in einem Gebüsch einen
Obstbaum, mit weitausladenden Asten und überreich an Früchten von
besonderer Sorte mit bestem Geschmack. Der obengenannte König
[Wilhelm der Eroberer] verlangte inständig nach diesem, da er ihn in
seinen eigenen Garten umsetzen wollte. Obwohl [Herluin] sich
sträubte und Widerspruch einlegte, weil er durch diesen allein genährt
wurde, setzte [Wilhelm] sich durch, da er der Herr war, und trug den
Baum fort. Aber sie konnten die Wurzeln nicht vollständig ausreißen;
und aus diesen schlugen dünne Triebe aus, die alsbald zu großen
Bäumen emporwuchsen. Nachdem etwas Zeit in [Herluins] Vision
vergangen war, freute der genannte König sich gegenüber jenem über
das große Früchtetreiben des eigenen Baumes, und [Herluin] ant-
wortete mit Freude, dass er von diesem äußerst üppige Sprösslinge
habe/'1631
Obwohl die Passage im Werkkontext direkt auf die Berufung Lanfrancs durch
den König folgt, ja sie im einleitenden Satz explizit als Vorausdeutung der Er-
hebung ausgewiesen und so mit dem vorherigen Bericht narrativ verknüpft
wird, bietet der Autor im Anschluss eine detaillierte Auslegung dieser Vision:
„Das Gebüsch des Abtes war die Kirche von Le Bec, deren größter
Baum, eben jener Lehrer, nicht allein diese, sondern auch alle anderen
Kirchen in der ganzen Heimat [i.e. in der Normandie] durch sein
1629 Vgl. zur Datierung Abulafia/Evans, Introduction, S. xl.
1630 Vgl. zu Autor und Werk etwa Harper-Bill, Herluin, Evans, Crispin, sowie Foulon, Foundation,
S. 15 f.
1631 Videbatur quod in uirgulto arborem malum habebat, cuius ramorum spatiositas multa erat et magna
fructuum ubertas, pomorum uero species delectabilis et sapor optimus. Hane rex supradictus exposcebat
uolens ad quoddam suum eam ortum transferre. Reluctante ipso isto et quod sola ea sustentaretur
opponente, quia dominus erat euicit et arborem absportauit. Verum radices penitus auelli non potuerunt;
ex quibus pullantes uigule confestim in arbores magnas exereverunt. Post paruum denique sub eo uisu
interuallum, memoratus rex de arboris ipsius nimia fructositate coram illo gaudebat, et Ule se ex ea
letissimas habere propagines aggaudendo respondebat. Gilbert Crsipin, Vita Herluini, Cap. 80-81.