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Bruhn, Stephan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Christian-Albrechts-Universität zu Kiel [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Reformer als Wertegemeinschaften: zur diskursiven Formierung einer sozialen Gruppe im spätangelsächsischen England (ca. 850-1050) — Mittelalter-Forschungen, Band 68: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2022

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https://doi.org/10.11588/diglit.69837#0098

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II.2. Werte- und Normendiskurse in der Alfredsvita - eine Bestandsaufnahme

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Gottes für eben jene Verfehlungen gedeutet wurden.246 Die Alteritätsbehaup-
tungen Assers stehen somit in einem direkten Zusammenhang mit den alfre-
dianischen Reformideen, sodass sie weniger der Evokation einer walisischen
Außenperspektive als vielmehr einer Unterscheidung zwischen den Reformern
und ihrem zu reformierenden Umfeld dienen. Damit erweist sich Asser abermals
nicht als Waliser, sondern als reformorientierter Hofgelehrter Alfreds. Die
Reichweite solcher exkludierenden wie inkludierenden Sprachmuster gilt es im
Sinne des vorgestellten diskursgeschichtlichen Ansatzes mit Blick auf die Vita
allgemein zu ermitteln.
Der Ansatz, die Vita als reformorientierte Selb st Vergewisserung für den
Hofkreis zu lesen, fußt also letztlich auf den Erklärungsansätzen der oben vor-
gestellten ,Hofthese', modifiziert deren Befunde allerdings im Sinne der dieser
Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung nach den diskursiven Formierungs-
prozessen von Reformgruppen in zweierlei Hinsicht: Einerseits versucht sie den
Rezipientenkreis konkreter zu fassen. So wird die Vita nicht allein als Produkt für
den Herrscher, seine familiäres oder den Hof als solchen perspektiviert, sondern
als soziales Orientierungsangebot für die in Wessex aktive Gruppe der Reformer
definiert, die nicht nur den König und die von ihm versammelten Gelehrten
umfasst, sondern bei Asser auch durch Teile der Familie oder den Abt des
Klosters Athelney konstituiert wird. Eine solche Konkretisierung bedingt an-
dererseits, dass neben der Herrscherparänese auch die anderen ideellen
Grundlagen und textimmanenten Hinweise für eine derartig intendierte Funk-
tionalisierung des Werkes beleuchtet werden müssen. So sollte bereits aus den
bisherigen kursorischen Beobachtungen ersichtlich geworden sein, dass der im
Werk greifbare Reformdiskurs keine rein königliche Angelegenheit ist, sondern
auch andere Trägergruppen umfasst.
II.2. Werte- und Normendiskurse in der Alfredsvita - eine
Bestandsaufnahme
Auf Basis dieser allgemeinen Affirmierung der Alfredsvita Assers als Reformtext
kann nun eine Perspektivierung der Werte- und Normendiskurse im Werk
vorgenommen werden. Leitend für die Erschließung sind hierbei die in der
methodischen Grundlegung eruierten elf Kategorien: Gehorsam, Gerechtigkeit,
Büßfertigkeit, Frömmigkeit, Keuschheit, Soziabilität, Demut, Freigiebigkeit,
Gnade, Agonalität und Produktivität. Die Ausklammerung der Rubrik ,Lei-
densbereitschaft' mag angesichts der Zentralität, welche diesem Verhaltensideal
forschungsgeschichtlich mit Blick auf das Königsbild Assers zugesprochen
werden kann, zunächst eigenwillig erscheinen.247 Sie lässt sich aber aus der

246 Vgl. dazu ebd., S. 182.
247 Vgl. dazu Berschin, Biographie, Bd. 3, S. 416, der seinen kurzen Abriss zur Vita gar mit dem Titel
„Der Leidenskönig" überschreibt. Zur Bedeutung des Leidensbildes vgl. ausführlich den Ab-
schnitt II.2.5. in der vorliegenden Arbeit.
 
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