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IV. „Ein verpflanzter Baum und seine Sprösslinge"
tmterschiedlichen Ansätze und Zugriffe, welche innerhalb der mediävistischen
Erforschung normativer Ordnungen verfolgt werden, stehen häufig unverbun-
den nebeneinander, obwohl das Forschungsfeld insgesamt von stärkeren Syn-
ergieeffekten und methodologischen Transfers profitieren würde.1696 Dies würde
nicht zuletzt zu einer geschichtswissenschaftlichen Operationalisierung der
vielfach aus den Sozialwissenschaften stammenden Konzepte beitragen. Auch in
dieser Hinsicht versteht sich die vorliegende Untersuchung als Baustein für
Synthesen, welche die kulturwissenschaftlichen Ansätze in der mediävistischen
Sozialgeschichte nicht allein thematisch, sondern auch methodologisch zu
bündeln suchen.
Schließlich ist auf einen ganz grundlegenden Aspekt hinzuweisen, der aus
der vorliegenden Untersuchung folgt: das besondere Erkenntnispotenzial von
Reformkontexten für die historische Werteforschung. Gerade weil reformori-
entierte Akteure sich aktiv für eine umfassende Implementierung der von ihnen
vertretenen Ideale einsetzen, bilden Vorstellungen vom Wünschens- und Er-
strebenswerten einen essentiellen Bestandteil ihrer Kommunikation. Die Affir-
mation eines gemeinsamen normativen Bezugsrahmens kann gar als selb st ver-
gewisserndes Moment gewertet werden, über welches sich die Gruppe über-
haupt erst konstituiert. In direkter Anlehnung an Wertedefinitionen ließen sich
Reformer somit als Akteure charakterisieren, die das Gute schlechthin wünschen
und erstreben.1697 Nicht zuletzt aufgrund dieses engen Konnexes zwischen
normativer Vorstellungswelt und Gruppenbildung wurden zwei miteinander
vergleichbare Reformkontexte in der vorliegenden Studie in den Mittelpunkt des
Erkenntnisinteresses gerückt - ein Zugang, der sich auch in Bezug auf andere
Erneuerungsbewegungen des Mittelalters als vielversprechend erweisen
könnte.
IV.3. Durch Werte einen - zum vermeintlichen
Gegensatz zwischen laikaler und klerikaler Kultur im
früheren Mittelalter
Obwohl die Erhebung Lanfrancs in den Archiepiskopat von Canterbury durch
den Visionsbericht als Teil des göttlichen Heilsplans erwiesen wird und nur auf
die Vermittlung von Abt Herluin hin zustande kommt, lässt Gilbert keinen
Zweifel daran, dass es sich vornehmlich um eine königliche Ernennung handelt.
So geht der Offenbarung eine knappe Beschreibung der profanen Umstände
voran, in welcher Wilhelm der Eroberer im Einvernehmen mit Papst Alexander
II. sowie den englischen und normannischen magnates den Kandidaten aus-
1696 So auch spezifisch mit Blick auf die Vertrauensforschung ebd., S. 10.
1697 Vgl. zu Werteverständnis und -definitionen in der Geschichtswissenschaft den Abschnitt 1.5. in
der vorliegenden Arbeit.
IV. „Ein verpflanzter Baum und seine Sprösslinge"
tmterschiedlichen Ansätze und Zugriffe, welche innerhalb der mediävistischen
Erforschung normativer Ordnungen verfolgt werden, stehen häufig unverbun-
den nebeneinander, obwohl das Forschungsfeld insgesamt von stärkeren Syn-
ergieeffekten und methodologischen Transfers profitieren würde.1696 Dies würde
nicht zuletzt zu einer geschichtswissenschaftlichen Operationalisierung der
vielfach aus den Sozialwissenschaften stammenden Konzepte beitragen. Auch in
dieser Hinsicht versteht sich die vorliegende Untersuchung als Baustein für
Synthesen, welche die kulturwissenschaftlichen Ansätze in der mediävistischen
Sozialgeschichte nicht allein thematisch, sondern auch methodologisch zu
bündeln suchen.
Schließlich ist auf einen ganz grundlegenden Aspekt hinzuweisen, der aus
der vorliegenden Untersuchung folgt: das besondere Erkenntnispotenzial von
Reformkontexten für die historische Werteforschung. Gerade weil reformori-
entierte Akteure sich aktiv für eine umfassende Implementierung der von ihnen
vertretenen Ideale einsetzen, bilden Vorstellungen vom Wünschens- und Er-
strebenswerten einen essentiellen Bestandteil ihrer Kommunikation. Die Affir-
mation eines gemeinsamen normativen Bezugsrahmens kann gar als selb st ver-
gewisserndes Moment gewertet werden, über welches sich die Gruppe über-
haupt erst konstituiert. In direkter Anlehnung an Wertedefinitionen ließen sich
Reformer somit als Akteure charakterisieren, die das Gute schlechthin wünschen
und erstreben.1697 Nicht zuletzt aufgrund dieses engen Konnexes zwischen
normativer Vorstellungswelt und Gruppenbildung wurden zwei miteinander
vergleichbare Reformkontexte in der vorliegenden Studie in den Mittelpunkt des
Erkenntnisinteresses gerückt - ein Zugang, der sich auch in Bezug auf andere
Erneuerungsbewegungen des Mittelalters als vielversprechend erweisen
könnte.
IV.3. Durch Werte einen - zum vermeintlichen
Gegensatz zwischen laikaler und klerikaler Kultur im
früheren Mittelalter
Obwohl die Erhebung Lanfrancs in den Archiepiskopat von Canterbury durch
den Visionsbericht als Teil des göttlichen Heilsplans erwiesen wird und nur auf
die Vermittlung von Abt Herluin hin zustande kommt, lässt Gilbert keinen
Zweifel daran, dass es sich vornehmlich um eine königliche Ernennung handelt.
So geht der Offenbarung eine knappe Beschreibung der profanen Umstände
voran, in welcher Wilhelm der Eroberer im Einvernehmen mit Papst Alexander
II. sowie den englischen und normannischen magnates den Kandidaten aus-
1696 So auch spezifisch mit Blick auf die Vertrauensforschung ebd., S. 10.
1697 Vgl. zu Werteverständnis und -definitionen in der Geschichtswissenschaft den Abschnitt 1.5. in
der vorliegenden Arbeit.